Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion II.7: Abstracts

 

Matthias Morgenstern (Tübingen, Germany)

Martin Luther und die Kabbala

Spekulationen über die Bedeutung des jüdischen Gottesnamens wurden im 16. Jahrhundert zum Ausgangspunkt eines Interesses an der Kabbala, das in der christlichen Theologie freilich umstritten blieb. Martin Luther stellte sich 1513 im Reuchlin-Streit auf die Seite der Humanisten, die die jüdischen Bücher vor der Verbrennung schützen wollten. In seiner 1543 veröffentlichten Schrift Vom Schem Hamephorasch lehnte er kabbalistische Spekulationen aber inhaltlich ab. Zugleich wird deutlich, dass Luther überraschend detailgenaue Kenntnisse der Kabbala und der kabbalistischen Hermeneutik besaß. Daneben enthält diese Judenschrift Luthers Informationen über jüdische Volksüberlieferungen, die sich bis ins 20. Jahrhundert weiterverfolgen lassen.

 

Gianfranco Miletto (Halle/Saale-Wittenberg, Germany)

Die Hebraistik in Wittenberg (1502-1813). Andreas Sennert (1606-1689), Theodor Dassov (1648–1721) und Christoph Wichmannshausen (1663-1729)

Die Anfänge des Studiums der hebräischen Sprache in Wittenberg gehen auf die Gründung der Universität zurück und sind bei einigen Gelehrten zu suchen, die die humanistischen Studien gepflegt haben. In dem Studium der drei alten Sprachen, nämlich Latein, Griechisch und Hebräisch, nach dem Ideal des ›homo trilinguis‹, des vollkommen ausgebildeten Humanisten, sah Wittenberg die Gelegenheit, aus den anderen deutschen Universitäten herauszuragen und sich als Vorbild zu präsentieren.

Der Vortrag zeichnet die wichtigsten Etappen des Studiums des Hebräischen an der Universität Wittenberg nach und erläutert seine fortlaufende Erweiterung zur rabbinischen Literatur anhand der Lehrtätigkeit drei herausragender Professoren: Andreas Sennert, Theodor Dassov und Christoph Wichmannshausen.

 

Haim Mahlev (Berlin, Germany)

Ein jüdischer Luther? Spinoza in Berthold Auerbachs Spinoza

Dieser Vortrag untersucht die Wirkungsweise hinter der augenscheinlich positiven Beziehung zwischen Spinoza und Luther in Berthold Auerbachs Spinoza. Es wird die These vertreten, dass bei Auerbach Spinozas Rolle als ein Reformator des Judentums eng mit derjenigen Luthers verbunden ist: Beide Denker haben ihre jeweilige Religion in der Weise reformiert, dass empirischen Begründungen der Offenbarung vorgezogen werden. Nun aber muss das Judentum von seiner großen Schwester lernen. Dafür sind zwei ›Wendungen‹ nötig: Zuerst muss das Judentum von seinem negativen Image als irrationale Religion befreit werden, sodann muss das Narrativ des Erkenntnisübergangs umgekehrt werden: Statt der jüdischen Religion, die als alte Weisheit dient, ist es nun das Luthertum, das das Christentum im Sinne einer philosophischen Religion erneuert, während das Judentum diesem Beispiel noch zu folgen hat.

 

Mordechai Zalkin (Beer-Scheva, Israel)

Sola [aufgeklärte] scriptura. Die kulturelle Wirkung der Reformation auf die aufklärerische, jüdische Bildungstheorie in Osteuropa des 19. Jahrhunderts

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in verschiedenen Städten Osteuropas ein neues jüdisches Bildungssystem etabliert. Die treibende Kraft hinter dieser Initiative waren junge jüdische Intellektuelle, die die weltanschaulichen Prinzipien der europäischen Aufklärung übernommen hatten. Neben anderen Fragen, mit denen sie bei der Ausgestaltung der Grundsätze des neuen Systems konfrontiert waren, stand v. a. die Frage nach der Autorität im Mittelpunkt. Einer der Leitsätze der zeitgenössischen, traditionellen, jüdischen Gemeinschaft war die Forderung nach absolutem Gehorsam gegenüber den rabbinischen Autoritäten. Nach ihrem eigenen Verständnis jedoch hatte jeder Mensch essentiell das Recht und die Pflicht sich seine eigene Welt zu gestalten – ganz im Einklang mit ihrer Version des kantischen »Sapere aude«. Indem sie dieses abstrakte Prinzip in ein systematisches Bildungsprogramm übersetzten, nahmen sie zugleich die Lehre vom ›sola scriptura‹ auf. In diesem Vortrag werden die Langzeitwirkungen dieser Entscheidung auf die zukünftige Gestalt moderner, jüdischer Bildung diskutiert.

 

Libera Pisano (Hamburg, Germany)

Die Wurzeln der deutschen Philosophie. Heinrich Heine liest Martin Luther

Dieser Beitrag analysiert Heines Interpretation Martin Luthers als einen Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Denkens. Es wird die Art und Weise beschrieben, in der Heine die Gestalt Luthers in seiner kontroversen Bezugnahme zur Romantik nutzte, um ein kritisches Verständnis der Moderne zu erlangen. In seiner Abhandlung Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland beleuchtet Heine die politischen und philosophischen Konsequenzen des Protestantismus, der als eine epochale Revolution verstanden wird. Zum einen spielt Luthers Angriff auf die Hegemonie der katholischen Frömmigkeit tatsächlich eine entscheidende Rolle in der Entstehung einer positiven Nationalidentität aufgrund einer politischen Emanzipation – ganz der teleologischen Geschichtskonzeption Heines gemäß. Zum anderen markiert Luthers Bibelübersetzung eine Wasserscheide in der Geschichte der deutschen Sprache, indem sie den Weg zur Entstehung sowohl der deutschen Literatur als auch der deutschen Philosophie bahnt.

 

Guido Bartolucci (Arcavacata di Rende, Italy)

Jüdisches Denken vs. lutherischer Aristotelismus. Johannes Frischmuth (1619-1687), jüdische Philosophie und der Satz vom Widerspruch

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts veröffentlichten deutsche lutherische Gelehrte, wie Herman Conring, Michael Wendler, Johannes Vorst und Johannes Frischmuth, verschiedene Abhandlungen über die jüdische Tradition. Diese Werke waren keineswegs aus dem historischen Interesse heraus entstanden, die Geschichte und das Leben der Juden zu verstehen. Im Gegenteil bezweifelten sie die Idee (wie sie v. a. im Calvinismus zu finden war), dass jüdische Weisheit eine Schlüsselrolle in der Herausbildung des europäischen philosophischen und politischen Erbes gespielt habe. Dieser Beitrag will zeigen, auf welche Weise der lutherische Hebraist Johannes Frischmuth (Professor für Hebräisch an der Universität Jena) seine Kritik am jüdischen Denken entwickelt hat. Eines seiner Hauptargumente ist, dass die jüdische Tradition den aristotelischen Satz vom Widerspruch nicht beachte. Damit behauptet er, dass das Judentum mit der westlichen Tradition unvereinbar sei.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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