Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion II.12: Abstracts

 

Theo Pleizier (Groningen, Netherlands)

Der Gebrauch der Bibel in der religiösen Praxis des Protestantismus

Der ›cultural und material turn‹ in der Praktischen Theologie als Disziplin führt zu einer Verbreiterung des wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldes hin zum tatsächlich gelebten Glauben und zur gelebten Religion. Eine praktisch-theologische Untersuchung fragt danach, ob und wie der Gebrauch der Bibel die aktuelle religiöse Praxis des Protestantismus formt. Dieser Beitrag befasst sich mit dem Gebrauch der Bibel, verstanden als eine religiöse Praxis in der Popularkultur und der persönlichen Andacht. Zunächst werden einige historische und aktuelle Beispiele der Praxis des ›Gebrauchs der Bibel‹ dargestellt und analysiert. Dann wird auf der Grundlage von verschiedenen Beispielen (empirischer) Forschung eine Typologie des Gebrauchs der Bibel vorgeschlagen, die die unterschiedlichen Weisen, in denen die Bibel gebraucht wird, zusammenzubringen versucht – kulturelle, politische, die Andacht betreffende, private und ökonomische.

 

Lina Vidauskytė (Kaunas, Lithuania)

Oralität und Lesefähigkeit nach der Reformation

Die Übersetzung der Bibel in die Volkssprachen hat einige schwerwiegende Segmente im kulturellen und religiösen Kontext Europas geschaffen. Erstens wurde die christliche Welt geteilt; zweitens haben die Volkssprachen die Form der Schreib- bzw. Drucksprachen erhalten. So sind die Volkssprachen auf eine höhere kulturelle Stufe gestellt worden. Zugleich aber hat diese Innovation eine Reihe von Problemen geschaffen. So sind die Volkssprachen unter die Kontrolle des Geschriebenen bzw. des Gedruckten geraten. Die akustische Natürlichkeit der mündlichen Volkssprache wird der starren Architektur der künstlichen Schriftsprache untergeordnet. Daraus ist eine Kombination von mehreren Spannungen entstanden, die als die Bedingung der Möglichkeit für die Geburt des modernen Subjekts und die Krise der Autorität betrachtet werden kann.

 

Andrew Pettegree (St. Andrews, Great Britain)

Buchdruck und Reformation. Ein Drama in drei Akten

Durch die gesamte Geschichte des Buchdrucks hindurch waren Gestaltungsfragen von entscheidender Bedeutung für die Buchindustrie. Dies gilt besonders für die Entwicklung der Titelseite, die als das entscheidendste Gestaltungselement anzusehen ist, für das es keine klare Vorlage aus der Ära der handschriftlichen Bücher gab. Die Reformation revolutionierte zum einen den Buchmarkt und regte zum anderen entscheidende Innovationen in der Buchgestaltung und im Buchverkauf an. Diese Entwicklung begann in Wittenberg mit der Partnerschaft zwischen Martin Luther und Lucas Cranach, die eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung der reformatorischen Flugschriften spielte. In Territorien, die der Reformation ablehnend gegenüberstanden, war die Gestaltungsaufgabe deutlich komplexer, weil Gestaltungselemente, die eine Identifikation erleichtern sollten, die Verkäufer oder Besitzer in Todesgefahr bringen konnten. Der Beitrag endet mit einer Untersuchung des Marktes für Erbauungsliteratur in den Vereinigten Niederlanden, als der Heimat von Europas erfolgreichstem Zentrum für Buchproduktion.

 

Isabell Naumann (Strathfield, Australia)

Anmerkungen zum lukanischen Konzept der Jüngerschaft und zum Magnifikat

Wenn christlicher Glaube, verstanden als die beginnende Wirklichkeit der Erlösung, übermittelt wird, muss er in aktiver Weise empfangen werden. Für die Person, an die das Wort Gottes gerichtet ist, ist dasselbe ein Ruf, der geradezu eine interpersonale Beziehung entstehen lässt: die religiöse Beziehung, die durch den Glauben in uns wurzelt.

Im Lukasevangelium wird Maria, die Mutter Jesu, als die Frau des Glaubens dargestellt, die das Wort hört und die dementsprechende Antwort gibt, indem sie danach handelt. So zeigt sie die wahre kirchliche Einstellung des Glaubenden innerhalb und für die Welt. Auf diese Weise korrespondieren eine Theologie des Wortes und eine Theologie der Jüngerschaft, wie es im Marianischen Paradigma einer authentischen theologischen Antwort auf das Wort und in besonderer Weise im Magnificat (Lk 1,46-55) exemplarisch dargelegt wird.

Dieser Beitrag befasst sich mit Facetten des o. g. theologischen Themas innerhalb des lukanischen Kontextes. Darüber hinaus werden, ausgehend vom Magnificat und dem damit verbundenen schriftlichen Ruf zu einer prophetischen Befähigung, theologisch relevante und kulturell bedeutsame Überlegungen zum Problem von Frauen und Armut innerhalb des ozeanisch-asiatischen Kontextes angestellt.

 

Mateo Žagar (Zagreb, Croatia)

Das Sprachkonzept in den glagolitischen und kyrillischen Editionen des Neuen Testaments

Obwohl die protestantische Tradition der Übersetzung des Neuen Testaments keine anhaltenden Spuren in der nachfolgenden Entwicklung der kroatischen Schriftsprache hinterließ, erreichte das Buchdruckunternehmen Urach herausragende philologische Ergebnisse. In einem Zeitraum von nur fünf Jahren druckte diese relativ kleine Buchdruckerei zehn Publikationen in 28 Auflagen und mehr als 30.000 Kopien. Alle erschienen in kroatischer Sprache und in den drei kroatischen Schriften (14 in glagolitischer, 8 in kyrillischer und 6 in lateinischer Schrift). Das Neue Testament (Urach, 1562-1563) wurde basierend auf dem Koine-Text in den čakavische Dialekt übersetzt, enthält jedoch auch eine Fülle von štokavischen Elementen und zielte damit auf eine südslavisches Leserschaft v. a. im Osten des Balkans. Dieser Beitrag untersucht die Unterschiede zwischen der glagolitischen und der kyrillischen Edition des Neuen Testaments.

 

Tomasz Ososiński (Warsaw, Poland)

Hermann Kyrieleis und seine Fälschungen von Luthermanuskripten

In der Nationalbibliothek in Warschau findet sich das 1516 in Rom von Giaccomo Mazzocchi herausgegebene Buch De amore divino von Gianfrancesco Pico della Mirandola. Die Provenienz dieses Buches, bevor es 1962 in den Besitz der Bibliothek kam, ist hochinteressant. Unter anderem gehörte es dem deutschen Händler Hermann Kyrieleis, der auf die Fälschung von Luthermanuskripten spezialisiert war. Kyrieleis war einer der bekanntesten Fälscher des 19. Jahrhunderts und stellte Fälschungen von Handschriften von sehr hoher Qualität her. Auf den Seiten von De amore divino platzierte Kyrieleis die Fälschungen einer Provenienznotiz Luthers und des Liedtextes Ein feste Burg ist unser Gott. Diese Fälschungen waren eine seiner letzten und besten seiner Karriere.

 

Marta Quatrale (Berlin, Germany)

Die Gegenreaktion Vergerios auf Moronessas Il Modello di Martino Lutero. Ein Beispiel für programmatische Wiederverwendung italienischer antilutherischer Quellen

Im Versuch die gnesiolutherische Heroisierung Luthers zu erläutern bzw. eine Definition des gnesiolutherischen Lutherbilds zu erreichen, wird in diesem Vortrag Vergerios Beispiel programmatischer Wiederverwendung einiger Auszüge des katholischen, antilutherischen Werks Moronessas Il Modello di Martino Lutero kurz dargestellt. Hierdurch verwandelte Vergerio den Cölestiner Mönch in den Verfasser eines, unter dem Titel Typus Martini Lutheri veröffentlichten Angriffs auf das Papsttum. Damit wurde eine weitere, satirische Verbreitung dieses Textes sowohl in Italien als auch in Deutschland ermöglicht, so dass er den Gnesiolutheranern als eine, Moronessas ursprünglichem Zweck zuwiderlaufende, direkte Quelle in ihrer Auseinandersetzung mit dem Papsttum zur Verfügung stand.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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