Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion III.9: Abstracts

 

Christine Kooi (Baton Rouge, USA)

Eine Minderheit unter Minderheiten. Calvinisten in der Republik der Vereinigten Niederlande

Durch die Religionskriege entstand ein neuer Staat: die Republik der Vereinigten Niederlande. Von Beginn an war der religiöse Ausgleich wesentlich für diesen neuen Staat: Seine Herrscher erkannten die Reformierten als die offizielle Kirche an, erlaubten es aber religiösen Minderheiten, ihr Leben ebenfalls vor Ort zu führen. Somit mussten Calvinismus und Multikonfessionalismus innerhalb eines neuen Gemeinwesens koexistieren. Die calvinistischen ›Gewinner‹ der niederländischen Reformation mussten mit der kontinuierlichen Anwesenheit der ›Verlierer‹ in der neuen Gesellschaft leben lernen. Diese Gesellschaft mit ihrer dynamischen Wirtschaft und ihrer lebhaften Diskussionskultur bedeutete, dass die Beziehungen zwischen den verschiedenen konfessionellen Gruppen sorgsam durch die politischen und religiösen Eliten des Landes geregelt wurden. Die Identität der Republik war gefangen zwischen den Polen eines dominanten Calvinismus und eines allgegenwärtigen Multikonfessionalismus.

 

Lubina Mahling (Dresden, Germany)

Die Reformation und die Sorben. Verschriftlichung – Alphabetisierung – Pluralisierung

Der reformatorische Imperativ von der Predigt in der Muttersprache führte zu einem grundlegenden kulturellen Wandel unter den Sorben in der Lausitz. Mit der Ausbildung sorbischer Geistlicher entstand eine sorbische Bildungselite und die Übersetzung biblischer wie reformatorischer Schriften führte zur Entstehung der sorbischen Schriftsprache. Wirkte sich zunächst die katholisch-protestantische Konkurrenz fruchtbar auf die Entwicklung der sorbischen Schriftkultur aus, so übernahm diese Funktion im 18. Jahrhundert der Pietismus. Dieser trug maßgeblich zur Alphabetisierung sowie zur inneren Pluralisierung der evangelischen Sorben bei.

 

Florian Tropp (Hamburg, Germany)

Die Salzburger Exulanten als Beispiel für das transnationale Wirken protestantischer Netzwerke im 18. Jahrhundert

Die Vertreibung der Salzburger Protestanten zwischen 1731 und 1735 war ein spektakulärer Nachhall der Reformation. Über 20.000 Menschen, die sich nicht zum vom Staat oktroyierten Katholizismus bekennen wollten, mussten ihre Heimat verlassen. Sie fanden im Baltikum, in den Niederlanden und sogar in Georgia Zuflucht.

Im Handeln der Unterstützer der Exulanten zeigte sich das Wirken einer Protestantischen Internationale, für die Glaube von größerer Bedeutung war als die Herkunft. Im Zentrum der Überlegungen steht die Frage nach den Interessen der helfenden Gruppen und wie sich ihre Kommunikation untereinander abspielte. Damit soll auf Basis moderner Paradigmen ein neuer Impuls gegeben werden, denn in der Literatur wurden die Schauplätze der Migration bislang separiert voneinander betrachtet.

 

Rainer Kobe (Schutz, Germany)

Kirchenzucht als politisches Führungsmittel. Die Handhabung der ›Regel Christi‹ bei den Hutterischen Brüdern

Dieser Beitrag zeigt, wie die Hutterischen Brüder – eine theokratisch geführte, in Lebensweise und Wirtschaften vom evangelischen Kommunismus bestimmte täuferische Gemeinschaft – auf den von ihr in Mähren und Ungarn betriebenen Bruderhöfen in einer politisch-rechtlich prekären Lage, in einem als fremd empfundenen Land über zweihundert Jahre hinweg (1550-1750) den Kirchenbann als Anwendung der ›Regel Christi‹ (Mt 18,15-18) praktizierten.

Es soll klarwerden, dass, anders als in anderen Konfessionen und in anderen täuferischen Gruppierungen, die hutterische Bannpraxis nicht nur der Aufrechterhaltung der kirchlich/gemeindlichen, sondern auch der zeitlichen (weltlichen) Ordnung diente und Teil der ›politischen‹ Führung der Gemeinschaft war.

 

Andrea Strübind (Oldenburg, Germany)

Die Entdeckung des Einzelnen. Freikirchliche Perspektiven

Zu »freikirchlichen« Denominationen gehört die bereits im Puritanismus vorgebildete Entdeckung des Einzelnen in seiner Bedeutung für die Kirche. Die ekklesiologische Grundlage dafür ist die sogenannte »Covenant«-Theologie des Kongregationalismus, wonach die Kirche sich durch den freiwilligen Zusammenschluss von Individuen konstituierte. Dies bedeutete zugleich eine radikale Abkehr von Modellen der Staatskirche und ihrer territorial verfassten Struktur. Damit verbunden war die Ausbildung egalitärer Strukturen, die sich an den geistlichen Kompetenzen der einzelnen Mitglieder ausrichten sollten. Die Freikirchen wehrten sich gegen den »Alleinvertretungsanspruch« einer »vergesellschafteten« Form von Kirche und trugen so sukzessiv zur Akzeptanz eines religiösen und kirchlichen Pluralismus u. a. in Deutschland bei.

 

Veronika Albrecht-Birkner (Siegen, Germany)

»Alles hat am Ende sich gelohnt«? Protestantische Auseinandersetzungen mit dem sozialistischen Menschenbild in der DDR

Ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie des SED-Staates war in Theorie und Praxis ein auf Leistung und Lohn ausgerichtetes Menschenbild, demgemäß der Mensch ist, was er schafft. Es ordnete sich ein in eine quasi religiöse Vision von einer (kommunistischen) Zukunft, in der die Begrenztheit menschlichen Lebens aufgrund von Krankheit, Leid und Tod durch menschliche Leistung überwunden sei. Von dieser postulierten Selbstkonstruktion des Menschen durch eigene Leistung mussten sich Christen herausgefordert sehen, die sich hinsichtlich der Basis menschlicher Existenz dezidiert auf (geschenkte) Gnade im Glauben beriefen. Das Referat begibt sich auf Spurensuche nach Auseinandersetzungen protestantischer Christen in der DDR mit dem sozialistischen Menschenbild im Horizont der Rechtfertigungslehre.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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