Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion II.5: Abstracts

 

Eike Hinrich Thomsen (Leipzig, Germany)

Johannes Hus als Vorläufer Luthers und populärer Märtyrer – Eine Idee des 16. Jahrhunderts?

Bereits im 16. Jahrhundert wurde Johannes Hus als ein zentraler Identitätsmarker der lutherischen Bewegung sowie als »Vorläufer« und »Prophet« Luthers in die konfessionellen Auseinandersetzungen eingebunden. Auch in den folgenden Jahrhunderten griff man, in gänzlich verschiedenen Zusammenhängen, auf Hus zurück.

Zum einen wird die Rezeptionsgeschichte von Hus skizziert; der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Reformationszeit sowie der heutigen Deutung. Anhand ausgewählter Beispiele wird seine populäre Wirkung und Wahrnehmung dargestellt. Zum anderen wird gefragt, ob und inwieweit sich hinsichtlich der Erinnerung an Hus ein kultureller Transfer, eine ›große Linie‹ der Rezeption, nachzeichnen lässt, die bis zu unserer heutigen Sicht des böhmischen Reformers reicht.

 

Jan Martin (Provo, USA)

William Tyndale in der Rezeption der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage

Im frühen 16. Jahrhundert stellte William Tyndale die größte Bedrohung für den Katholizismus in England dar. Von Luther inspiriert wurde Tyndale zum ›Vater des englischen Protestantismus‹. Im Gegensatz zu Luther verschwand jedoch das Wissen um Tyndales zentraler Rolle und sein Einfluss wurde missverstanden oder übersehen. Im späten 20. Jahrhundert nahm das wissenschaftliche Interesse an Tyndale wieder zu und moderne christliche Kirchen ehrten ihn auf jeweils eigene Weise. Die 1830 gegründete Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage erinnert an Tyndale als den Vater der Englischen Bibel, als einen Märtyrer und einen Vorläufer, der die Gründung der eigenen Kirche vorbereitet habe.

 

Jason W. Stevens (Towson, USA)

Ingmar Bergmans ›autobiographische Phase‹. Eine literarische und filmische Heimkehr zu einer lutherischen Kindheit

Nach der Veröffentlichung seiner Autobiographie Laterna Magica. Mein Leben (Laterna Magica; 1987) schrieb Ingmar Bergman eine Romantrilogie – Die besten Absichten (Den goda viljan; 1992), Sonntagskinder (Söndagsbarn; 1993) und Einzelgespräche (Enskilda samtal; 1996) –, die auch als Filmtrilogie adaptiert wurde. Sowohl die Romane als auch die Verfilmungen erzählen die Geschichte einer lutherischen Pfarrersfamilie, die sich eng an Bergmans eigener Biographie anlehnt. Indem thematische Verbindungen zu Bergmans Meisterwerken aus den 1950er und 1960er Jahren herausgearbeitet werden, fragt der Beitrag danach, wie Bergmans Narrativ eines heimischen Aufstands in einem Pfarrhaus die Spannung zwischen einem Leben, das sich der Pflege menschlicher Liebe und einem Leben, das sich dem Dienst an Gott verschrieben hat, auslotet. Revidiert Bergman womöglich prinzipielle Aussagen, zu denen er in den 1970ern gekommen ist, als er behauptet hat, dass theologische Fragestellungen und religiöse Sehnsucht nicht länger Teil seiner Kunst seien?

 

Esther Wipfler (Munich, Germany)

Martin Luther in Kino und Fernsehen. Zum Wandel eines Images

In keinem anderen Medium lässt sich der Wandel vom Image Martin Luthers so nachverfolgen wie im Film. Dieses Massenmedium zeigt wie Wissenschaft, die Theologie genauso wie die Geschichtswissenschaft oder die Psychologie aber auch eine Gesamtinterpretation der Reformation im Laufe des letzten Jahrhunderts popularisiert wurde. Mehr noch, das filmische Bild des Reformators ist Teil eines bestimmten lutherischen Zugangs zu den visuellen Künsten.

Wo die lutherische Kirche in die Filmproduktion eingebunden war, wurden führende Wissenschaftler der Theologie und Kirchengeschichte herangezogen, die die Drehbuchautoren beraten sollten: Die Filminhalte bezogen sich ja auf theologische Themen und wurden deshalb immer auch verstanden als ein Spiegelbild des jeweils eigenen Selbstbildes der zeitgenössischen lutherischen Kirche. Insofern Filme über Martin Luther größtenteils ein deutsches und anglo-amerikanisches Phänomen sind, stellt sich die transatlantische Perspektive als ein wichtiger Referenzrahmen vor allem für die Filmproduktionen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg dar.

 

Juliane Stückrad (Eisenach, Germany)

Wie es luthert! Ethnographische Erkundungen in Eisenach

Der Vortrag widmet sich der Materialisierung und den Inszenierungen des 500. Reformationsjubiläums in der »Wartburgstadt«. Mit den zahlreichen Aktivitäten rund um das Reformationsgedenken entstand der Neologismus »luthern«. Anhand von Fallbeispielen aus den performativen Bereichen Brauch, Theater und Tourismus wird erkundet, wie die Identitätsressource Martin Luther das Handeln bestimmt. Die Ethnographie betrachtet das Frühlingsfest Eisenacher Sommergewinn, das Musical Luther Rebell wider Willen am Stadttheater und eine Stadtführung. Sie befragt die Akteure zu ihren Motivationen, sich dem Jubiläum anzuschließen, beschreibt die jeweils konstruierten Lutherbilder und sucht nach lokalen Bedürfnislagen, die darin zum Ausdruck kommen.

 

Michael Beyer (Leipzig, Germany)

Luthertage, Lutherspiel, Lutherdenkmal, Lutherkarte. Memoria und Folklore im Leipziger Land in der Reformationsdekade 2008 bis 2017

In der Reformationsdekade entstand im Leipziger Land eine »Luthergruppe«. Aufgabe war die Begleitung von Dekade und Jubiläum in den Kirchgemeinden. Pfarrer, Museumsleute, Vertreter des Landkreises, der Lutherweg-Arbeit und Kirchenhistoriker versuchten die Initiativen um Luther und seiner Frau zu koordinieren. Hierzu gehörte etwa die fachliche Beratung zu einem modernen Lutherdenkmal (2011 in Borna vor dem Ensemble Marienkirche/Emmauskirche errichtet). In Letzterer wurde das Vortragsangebot für Borna und Umgebung im Zusammenhang mit den Bornaer Luthertagen und dem Mittelaltermarkt realisiert sowie ein hier entstandenes Lutherspiel aufgeführt.

 

Miriam Tabea Kraaz (Frankfurt/Main, Germany)

Personalisierung und Symbolisierung der Reformation. Martin Luther als Bildungsträger im medialen Raum

Martin Luther hat sich selbst zu seiner Zeit als Gelehrter inszeniert und zum Nachdenken über religiöse und gesellschaftliche Themen angeregt. Diese Rolle und seine inhaltliche Profilierung verblassen im Laufe der kulturellen Rezeption Luthers.

Stattdessen wird er als ereignisgeschichtlich wirksame Persönlichkeit mit interessanter biografischer und psychologischer Entwicklung dargestellt. Luther avanciert zum Gesicht und zum Symbol des historischen, kirchlichen und politischen Umformungsprozesses der Reformation und der beginnenden Neuzeit.

Der vertretene Standpunkt des Vortrags ist es, dass die medial gezeichnete Rolle Luthers typisch für die öffentliche Wahrnehmung von BildungsträgerInnen aus dem Bereich Geistes- bzw. Kulturwissenschaften ist.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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