Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion II.6: Abstracts

 

Christian Witt (Wuppertal, Germany)

Luthers Reformation der Ehe. Theologische Gestalt und kulturelle Wirkung

Luthers reformatorische Aufbrüche haben die schöpferische Neubestimmung des Verhältnisses von Gott und Mensch zum Kern, und diese Neubestimmung arbeitet der Reformator auch im Rahmen seiner Beschäftigung mit dem Thema ›Ehe‹ aus. Dabei gelangt er zu einem Eheverständnis, das einen Bruch mit den ehetheologischen Vorgaben der Papstkirche darstellt. Wo genau die Bruchstellen zu suchen sind, welche theologischen Gedankengänge ihnen zugrunde liegen und wie sich diese in Luthers Rede von der Ehe niederschlagen, soll exemplarisch nachzeichnet werden. Vor diesem Hintergrund versteht sich der Vortrag als theologiegeschichtlicher Beitrag zum interdisziplinären Gespräch rund um einen Gegenstand, mittels dessen sich die kulturhistorische Einordnung reformatorischen Denkens genauso diskutieren lässt wie seine Wirkung und Aneignung bis heute.

 

Christopher König (Bochum, Germany)

Inszenierte Männlichkeit. Maskulinität und männliche Rollenbilder in den Reformationsdramen

Die Reformation gehört vermutlich zu den am besten untersuchten Epochen der Geschlechtergeschichte. Angesichts der anhaltenden Konjunktur der Frage nach den kulturellen Auswirkungen der Reformation erscheint es lohnend, die Impulse der Körpergeschichte und die Frage nach den ›Anthropological Reformations‹ aufzugreifen.

In diesem Beitrag soll gefragt werden, inwieweit sich die Reformation auf eine Reformulierung und Neukonstruktionen von Männlichkeit auswirkte. Welche Implikationen hatte das vielbeschworene ›Hausvatermodell‹, welche Alternativen werden zugelassen? Dazu werden exemplarisch verschiedene Reformationsdramen als eine spezifische, auf Katechese, Mahnung und Mentalitätsbildung ausgerichtete Quellengattung ausgewertet und kontextualisiert.

 

Benedikt Brunner (Bonn, Germany)

Die Neuformulierung des Leib-Seele-Verhältnisses in der Reformationszeit und ihre Auswirkungen auf Körperbewusstsein, Sexualität und Ehe

Im Mittelpunkt steht die Frage, ob sich im Luthertum des 16. Jahrhundert ein spezifisch konfessionell geprägtes Menschenbild entwickelt hat. Dabei soll im Rahmen des Vortrages an der Wurzel dieser Frage angesetzt werden, nämlich der reformatorischen Neubestimmung von Leib und Seele bei Martin Luther und deren Auswirkungen auf Körperbewusstsein, Sinneserfahrungen und Emotionen. Exemplarisch soll auf die Themen Sexualität und Ehe eingegangen werden, unter Einbeziehung der Schriften Argula von Grumbachs und Katharina Zells. Insgesamt geht es um die Verbindung theologie- und kulturgeschichtlicher Fragestellungen.

 

Julia Schmidt-Funke (Jena, Germany)

»Appetitus ad mulierem est creatio Dei«. Zum Problem der Keuschheit im Protestantismus

Als im Zuge der Reformation die Zurückweisung des Zölibats und die Aufwertung von Sexualität zu entscheidenden Elementen des Protestantismus wurden, war damit keineswegs ein verbindliches Modell evangelischer Lebensführung entstanden. Während Luthertum und Calvinismus allein die Ehe als Ort legitimer Sexualität begriffen, bildeten sich im Täufertum abweichende Vorstellungen heraus, die in der Phase konfessioneller Konsolidierung zu einem entscheidenden Kriterium wurden, um Rechtgläubigkeit von Irrlehren abzugrenzen. Rigide gingen deshalb die Vertreter der lutherischen und reformierten Kirche gegen Gruppen vor, die außereheliche Sexualität oder Polygamie praktizierten. Zu einer Neuauflage solcher Konflikte kam es, als die im 17. Jahrhundert entstehenden Frömmigkeitsbewegungen die Frage nach der Spiritualität sexueller Handlungen abermals aufbrachten.

 

Wolfgang Breul (Mainz, Germany)

Die Ehe im frühneuzeitlichen Protestantismus. Von der Bejahung der Leiblichkeit zu ihrer Krise

Gegenüber Luthers noch von der antizölibatären Frontstellung der frühen Reformationszeit geprägten, Zweigeschlechtlichkeit und Sexualität prinzipiell bejahenden Ehetheologie suchte der Pietismus Liebe, Ehe und Geschlechtsverkehr in ein Konzept der Heiligung des ganzen christlichen Lebens zu integrieren – unter dezidiertem Einschluss enthaltsamer Lebensformen. Die Bemühungen führten in unterschiedlichen Spielarten der pietistischen Bewegung zu divergierenden Ansätzen, deren Gemeinsamkeit war, dass sie sich auf Dauer als nicht zukunftsfähig erwiesen.

 

Katherine Faull (Lewisburg, USA)

Ansprache an Körper und Seele. Seelsorge der Herrnhuter im 18. Jahrhundert

Die 1785 erschienenen Instructionen für die Chorhelfer geben den geistlichen Ratgebern von Männern, Frauen und Kindern der Herrnhuter Gemeinden detaillierte Hinweise hinsichtlich der Frage, wie mit körperlichen und seelischen Belangen umzugehen sei. In diesem Beitrag wird untersucht, auf welche Weise die Herrnhuter Luthers Ehe- und Familienkonzeption in eine bemerkenswert positive Bewertung menschlicher Sexualität übersetzten. Entgegen der gängigen Behauptung in der Wissenschaft, die Ära Spangenbergs habe eine konservative Wende in der Brüdergemeine eingeläutet, zeigt dieser Beitrag, dass die Instructionen seltene Einblicke gewähren in eine Interpretation des Körpers als ein holistisches System, das Beachtung und Pflege verdiene, weil es ein Gefäß für den Geist sei.

 

Susanne Hennecke (Bonn, Germany)

Gleichheit und/oder Differenz? Reformations-Rezeption im Kontext früher Frauenbewegungen

Susanne Hennecke untersucht in ihrem Beitrag am Beispiel der drei US-amerikanischen Bürgerrechtlerinnen Sarah Moore Grimké, Sojourner Truth und Elisabeth Cady Stanton kulturelle, politische und religiöse Wirkungen der Reformation im Kontext der frühen amerikanischen Bürgerrechtsbewegung des 19. Jahrhunderts. Sie zeigt auf, dass diese drei Protestantinnen eine typisch moderne Form des Protestantismus repräsentieren, diesen aber in gendertheoretischer Hinsicht noch einmal herausfordern und so auf die Notwendigkeit einer fortwährenden Modernisierung (›semper reformanda‹) des modernen Protestantismus hinweisen.

 

Gerhard Schreiber (Darmstadt, Germany)

›Semper reformandum‹? Geschlechtliche Vielfalt als Herausforderung und Chance für den Protestantismus

Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Geschlecht als komplexe Kategorie ein wesentlich breiteres Spektrum aufweist, als es durch eine binäre Einteilung der Menschen in ›männlich‹ und ›weiblich‹ abgebildet wird. Die Anerkenntnis geschlechtlicher Vielfalt ist Herausforderung und Chance zugleich. Eine Herausforderung, da hiermit Selbstverständlichkeiten der traditionellen theologischen Anthropologie hinterfragt werden. Eine Chance, da eine Theologie der Vielfalt ganz in protestantischer Manier die Traditionen des eigenen Glaubens nicht aufgibt, diese vielmehr im Kontext neuzeitlichen Denkens und Handelns entfaltet und vor dem Forum gegenwärtigen Wahrheitsbewusstseins in einer zunehmend von Komplexität und Differenziertheit geprägten modernen Gesellschaft argumentativ verantwortet.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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