Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion I.3: Abstracts

 

Jürgen Heidrich (Münster, Germany)

Zur Frühgeschichte des Liedes Ein feste Burg ist unser Gott im 16. Jahrhundert

Der Beitrag untersucht die Entstehungsgeschichte des Liedes Ein feste Burg ist unser Gott vor dem Hintergrund der Psalmauslegungen und Psalmdichtungen Martin Luthers. Beleuchtet wird sodann die frühe Überlieferungsgeschichte, samt politischem und konfessionsgeschichtlichem Kontext. Vor diesem Hintergrund werden weitergehende Überlegungen zur musikalischen Gestalt des Liedes angestellt, dessen Melodie allgemein Luther zugeschrieben wird, freilich mit nicht restlos überzeugenden Argumenten. Ein letzter Gedanke soll der Stellung gelten, die Ein feste Burg ist unser Gott im Kontext der übrigen Psalmlieder Martin Luthers behauptet.

 

Christian Thomas Leitmeir (Oxford, Great Britain)

Ein feste Burg ist unser Gott. Strategien und Grenzen der Nostrifizierung im konfessionellen Zeitalter

Der Psalter geriet zu einem zentralen musikalischen Brennpunkt der konfessionellen Auseinandersetzung. Lutherische Psalmlieder buhlten mit den metrischen Psalmen der Reformierten um die Herzen der Gläubigen, mit Ulenbergs Psalter von 1582 trat sogar die katholische Partei in die Konkurrenz ein. Andererseits handelt es sich ausgerechnet bei den Psalmen um einen biblischen Kernbestand, den sich alle Konfessionen teilten und (mit Ausnahme der Zwinglianer) auch in ihren Gottesdiensten sangen. Da Psalmlieder und -motetten sowohl das Trennende als auch das Verbindende zu akzentuieren vermochten, kann dieses Corpus zum Gradmesser von Militanz und Konzilianz des konfessionellen Zeitalters dienen. Dies gilt sogar vom 46. Psalm, der in Luthers Fassung als Ein feste Burg ist unser Gott zum Schlachtruf der Augsburgischen Konfession wurde.

 

Dominik Gerd Sieber (Sigmaringen and Tübingen, Germany)

»Von dem rechten Christlichen Gebrauch der Music, vnd der Orglen«. Die Rolle der Kirchenmusik im Rahmen der lutherischen Konfessionalisierung in den oberschwäbischen Reichsstädten

Die oberdeutsch-schweizerische Reformation ließ in den oberschwäbischen Reichsstädten die Orgel- und Kirchenmusik verstummen. Doch bereits eine Generation später brachte der Augsburger Religionsfrieden, mit der reichsrechtlich bedingten Hinwendung zum Luthertum, auch die Musik wieder zurück in den Kirchenraum. Anlässlich der Neuinstallationen von Orgeln, die seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts fassbar sind, erschienen gedruckte Festpredigten. Inhaltlich bemühten sich diese ›Orgelpredigten‹ um eine theologische und historische Rechtfertigung der Kirchenmusik und grenzten sich stark gegenüber der altgläubig-katholischen und auch reformierten Position ab. Damit indizieren sie einen wesentlichen Schritt weg vom Zwinglianismus hin zur lutherischen Konfessionalisierung in Oberschwaben.

 

Thomas Schmidt (Manchester, Great Britain)

Ein feste Burg ist unser Gott? Der Choral in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts zwischen sakralem Andachtstopos und konfessionellem Statement

Der Lutherchoral Ein feste Burg ist unser Gott als thematische Ausgangsbasis des Finales von Felix Mendelssohns Reformations-Sinfonie ist nur das bekannteste Beispiel für den Einsatz von protestantischen Chorälen oder ›choralhaftem‹ Melodiematerial in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts. Aber welche Botschaft wird mit diesen Zitaten oder Topoi intendiert oder evoziert? Wo wird eine allgemein-sakrale Andachtssphäre evoziert – vergleichbar dem preghiera-Topos in der zeitgenössischen italienischen Oper – und wo wirklich konfessionell Stellung bezogen? Ausgehend vom Mendelssohn’schen Oeuvre, in dem sich diese Spannung besonders nachdrücklich manifestiert, sollen in diesem Vortrag Kriterien und Kategorien des Choraltons im 19. Jahrhundert entwickelt und diskutiert werden.

 

Stefan Menzel (Weimar, Germany)

Ein feste Burg ist unser Gott. Otto Kade, die ›Inventio‹ des »Luther-Codex« und der deutsche Kulturprotestantismus

Der Vortrag beleuchtet Otto Kades Denkschrift Ein feste Burg ist unser Gott (1871) innerhalb ihres zeitgenössischen Kontexts. Die Edition soll als Beispiel des deutschen Kulturprotestantismus erörtert werden, einer Bewegung, welche Religionskultur – und damit auch Kirchenmusik – aus dem kirchlichen Institutionen herauslöste und zu einer Angelegenheit der zivilen kulturellen Öffentlichkeit machte. Im Vortrag soll gezeigt werden, wie Kade und andere ›zivile Kulturfunktionäre‹ lutherische Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts als erinnerungskulturelles Medium gebrauchten um am öffentlichen Diskurs um Ereignisse wie den Deutsch-Französischen Krieg oder das erste Vatikanische Konzil teilzunehmen und ferner eine Neudefinition deutscher Nationalkultur als bürgerlich und protestantisch anstrebten.

 

Chiara Bertoglio (Turin, Italy)

Die Interpretation musikalischer ›Heiliger Texte‹

Im 19. Jahrhundert führte die Anerkennung der Bedeutung von J. S. Bachs Werk zu der Notwendigkeit einer verbindlichen Interpretationsnorm, vor allem für Studenten und Laienmusiker. Sog. »instruktiven Ausgaben«, die vorgefertigte Aufführungshinweise enthielten, beanspruchten für sich die maßgebliche Interpretationstradition zu repräsentieren, während die Entstehung der Urtext-Ausgaben dagegen die historisch-kritischen Bemühungen der Zeit repräsentiert. Diese beiden Zugänge zu musikalischen ›Heiligen Texten‹ spiegeln gegensätzliche Einstellungen wieder – vergleichbar (und möglicherweise auch beeinflusst von) den jeweiligen Bibelhermeneutiken der Katholiken und Protestanten. Der Einfluss der Reformation auf die Auslegung der ›Heiligen Schrift‹ griff, so verstanden, auf ein sehr anderes Feld über, nämlich das der musikalischen Interpretation.

 

Ruth Dewhurst (Atlanta, USA)

Luthers edle Kunst der Musik. Die Entwicklung vom Gemeindegesangs des 16. Jahrhunderts zur ›Massenharmonik‹ des 21. Jahrhunderts

Sowohl bei Sportereignissen als auch bei Revolutionen zeigt sich die Beliebtheit von Gruppengesängen als ein Ausdruck von Nationalstolz. Dieser Beitrag vertritt die These, dass die Wurzeln dieses Phänomens in der Reformation und ihrer Betonung des Gemeindegesangs liegen. Die Fixierung auf die nationale Umgangssprache und die Massenmedien förderten eine populäre Gesangskultur. Mit den im 19. Jahrhundert beliebten Chorvereinen stand schließlich ein neues Mittel zur politischen Äußerung zur Verfügung. Heutzutage fördert Gruppengesang sowohl in als auch außerhalb der Kirche emotionale Verbundenheit, die wiederum Gruppenidentitäten stärkt. In nationalen Territorien, die direkt von den theologischen Lehren des Protestantismus betroffen waren, wurde Chorgesang ein beliebtes Mittel zur Gruppenkommunikation, der in vielfältigen Ausformungen durch die Jahrhunderte wiederkehrte und auch an der Gestalt der Kultur des 21. Jahrhunderts mitwirkte.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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