Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion III.10: Abstracts

 

Anette Baumann (Gießen, Germany)

Recht und Reformation. Das Reichskammergericht und seine Rolle als Friedenswahrer

Das 1495 gegründete Reichskammergericht, eines der höchsten Gerichte im alten Reich, musste sich schon ab den 1520er Jahren mit den Folgen der Reformation auseinandersetzen. Es ging um die Frage, wie die Änderung von Eigentumsverhältnissen infolge der Reformation rechtlich zu bewerten sei. Dazu musste das Gericht erst Definitionen schaffen. Dabei soll in dem Vortrag nicht nur die Rechtspraxis untersucht werden, sondern auch, wie das Gericht und seine Akteure innerhalb des Kräftefelds katholischer Kaiser und konfessionsverschiedener Reichsstände handelten. Wie passte sich das Gericht den jeweiligen Gegebenheiten an und wie schaffte es das Gericht, seiner genuinen Aufgabe als Friedenswahrer treu zu bleiben?

 

Mathias Schmoeckel (Bonn, Germany)

Melanchthons De contractibus

Der Vortrag wird die Selbstbestimmung des Menschen durch Vertrag bei Melanchthon behandeln. Damit hat Melanchthon sich öfter beschäftigt, vor allem in seiner Schrift De contractibus (1545). Der Vortrag soll seine Vorstellungen vom Vertragsrecht mit den juristischen Konzeptionen der Zeit vergleichen und der Vermutung nachgehen, dass er viel dazu beigetragen hat, von der Fülle der verschiedenen Vertragsarten die Konzeption eines einheitlichen Vertragsbegriffs vorzubereiten. Das wirft nicht nur ein Licht auf die unterschiedlichen Vorstellungen der Reformatoren, sondern auch auf die Entwicklung des Schuldrechts.

 

Paolo Astorri (Leuven, Belgium)

Die Reformation des Vertragsrechts

Wie ihr römisch-katholischer Gegenpart traktierten die lutherischen Theologen und Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts das Vertragsrecht und formulierten dabei eine Reihe von Konzepten und Regeln für die wichtigsten ökonomischen Rechtsgeschäfte. Welchen Zugang zum Vertragsrecht nutzten die Lutheraner dabei? Indem sowohl Werke von Theologen wie Martin Chemnitz (1522-1586) und Johann Gerhard (1582-1637) als auch solche von Juristen wie Matthaeus Wesenbeck (1531-1586) und Peter Heige (1559-1599) analysiert werden, will dieser Beitrag einen Überblick über die unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten auf diese Frage geben.

 

Wim Decock (Leuven and Liège, Belgium)

Theologische Impulse für ein konfessionsübergreifendes Vertragsrecht

Vor dem Hintergrund religiöser Kriege und politischer Unruhen wuchs unter katholischen Theologen die Sorge um die Stabilität von Transaktionen zwischen Angehörigen unterschiedlicher konfessioneller Gruppierungen. Infolgedessen kam es zu Bestrebungen, einen autonomen Privatrechtsbereich zu schaffen, welcher auf Naturrechtsprinzipien, jenseits des Einflusses religiöser und politischer Überzeugungen beruht. In diesem Zusammenhang soll sich dieser Beitrag insbesondere dem Jesuiten Martin Becanus (1563-1624) und seiner Lehre zur Entkonfessionalisierung des Vertragsrechts in der Abhandlung De fide haereticis servanda widmen.

 

Christoper Voigt-Goy (Mainz, Germany)

Adiaphora und Toleranz. Lutherische Gutachten zur konfessionellen Koexistenz im 17. Jahrhundert

Die Gutachtenpraxis der lutherischen theologischen Fakultäten und Eliten eröffnet der Forschung einen vielschichtigen, bislang aber kaum genutzten Zugang zur Entwicklung konfessioneller Koexistenzvorstellungen, die sich in den Spielräumen entfalteten, welche die territorialen Ordnungen bzw. das Reichsrecht boten. Für die gutachterliche, im weiteren Sinn kirchenordnende Praxis war die Adiaphoralehre von zentraler Bedeutung. Mit ihrer Hilfe umrissen die akademischen Theologen die Möglichkeiten und Begrenzungen eines ›rechten‹ lutherischen Umgangs mit Fremd- und Anderskonfessionellen. Der Vortrag gibt einen Überblick über diese Entwicklung der gutachterlichen Normbildungen in den gedruckten Gutachtensammlungen des 17. Jahrhunderts.

 

Tarald Rasmussen (Oslo, Norway)

Recht und Reformation. Dänemark und Schweden im Vergleich

Seit dem 16. Jahrhundert sind sowohl Dänemark als auch Schweden lutherische Länder, die deutlich von der protestantischen Konfession und Kultur geprägt sind. Beide entwickelten sich aus starken lutherischen Erbmonarchien und wurden – begünstigt durch ihre Lage in der europäischen Peripherie – während der gesamten Frühen Neuzeit kaum von der Herausforderung durch andere Konfessionen berührt.

Zugleich finden sich für die beiden Länder hinsichtlich ihrer konfessionellen Prägung deutlich mehr Unterschiede als man gemeinhin denkt. Ein lohnender Ausgangspunkt für die Analyse dieser Differenzen ist das Feld des religiösen Rechts. Dabei interessieren folgende Fragen: Wie gingen die Könige in den beiden Ländern während der Reformationszeit mit den Traditionen des Kanonischen Rechts um? Wie meisterten sie die Herausforderungen eines neuen Kirchenrechts als rechtlichen Rahmen der neuen Lutherischen Kirche? Und welche Arten von Einflussmöglichkeiten und Abhängigkeitsverhältnissen wurden der Kirche innerhalb eines lutherischen Staates gewährt, in dem der König selbst Oberhaupt der Kirche war?

 

Lisbet Christoffersen (Copenhagen, Denmark)

Was lernen nordische Studenten und Wissenschaftler der Rechtswissenschaft und Theologie über die Wirkung der lutherischen Reformation auf das Recht verglichen mit deutschen Wissenschaftlern?

Die Reformation in Nordeuropa bildete eine andere Gestalt aus als die in Deutschland, weil sie zu einem späteren Zeitpunkt und in bereits bestehende souveräne Staaten eingeführt wurde, und zwar im Zuge ihrer rechtlichen Entwicklung von einem mittelalterlichen System mit mehreren parallel gültigen Rechten hin zu einem einheitlichen Recht.

Dieser Beitrag fragt, welches theoretische Rechtsverständnis das Ergebnis der nordischen Reformation war und wie die vergangenen Einflüsse der Reformation heute von der Wissenschaft genutzt werden, um Möglichkeiten für das Verstehen, die Analyse und die Lösung des Problems einer religiös pluralistischen Zukunft zu ermöglichen. Dieser Frage wird durch eine vergleichende Analyse aktueller theologischer und rechtswissenschaftlicher Forschung über die Wirkung der Reformation auf die jeweilige Rechtskonzeption dieser Länder nachgegangen.

 

Brandon Bloch (Cambridge, USA)

Rechtfertigung der Demokratie. Johannes Heckel und Ernst Wolf über das Widerstandsrecht in Luthers politischer Theologie

Dieser Aufsatz berücksichtigt das Erbe von Luthers Schriften über den Widerstand gegen die Obrigkeit in Nachkriegsdeutschland durch eine Analyse der intellektuellen Beziehung zwischen zwei einflussreichen lutherischen Gelehrten: der Münchener Kirchenrechtler Joahnnes Heckel und der Göttinger Theologe Ernst Wolf. Ihr Austausch zwischen den spät-1940er Jahren und dem Tod Heckels 1963 stellt die Ansicht infrage, dass das Nachkriegs-Luthertum in einer Tradition der politischen Unterwürfigkeit und des Autoritarismus verstrickt war. Vielmehr boten einige lutherische Gelehrte nach dem Nationalsozialismus neue Interpretationen der politischen Theologie Luthers an, die eine Grundlage für die Neubewertung der Beziehung zwischen Widerstand, Demokratie und Menschenrechten darstellten.

 

Euler Renato Westphal (São Bento do Sul, Brazil)

Die Präsenz der Theologie in Kultur und säkularem Staat als Priestertum der Laien

Dieser Beitrag geht davon aus, dass Spiritualität sowohl der Kern als auch der Ausdruck von Kultur ist. Unter dieser Voraussetzung erweisen sich die Konzepte ›Weltanschauung‹ und ›Lebensanschauung‹ als kulturelle Muster, die als Orientierungsrahmen menschliches Leben erst ermöglichen. Diese ›Weltanschauung‹ ermöglicht es, menschliches Leben mit Bedeutung zu unterlegen, die die unsichtbaren, aber nichtsdestotrotz realen Beziehungen von Spiritualität offenbart. Aus einer theologischen Perspektive gesehen, strukturieren die Bedeutungsnetze eine Kultur. Im Prozess der Säkularisierung übernehmen Kultur und säkularer Staat den religiösen Charakter der Erlösung der sündigen menschlichen Natur. Der moderne säkulare Staat ist damit ein Staat, der durch das »Priestertum der Laien« gestaltet ist, wie Michel Villey sagt.

 

Klaus Dicke (Jena, Germany)

Entwicklungslinien protestantischer Staatslehre zwischen Gehorsam und Widerstand

Die Entwicklung der europäischen Staatslehre verdankt der Reformation zahlreiche Impulse. Sie reichen von reformatorischen Lehren, namentlich Luthers Lehre von den zwei Regimenten, über Konsistorialverfassungen und Kirchenordnungen bis hin zu der Notwendigkeit, angesichts der Konfessionalisierung politische Regelungen eines verträglichen Miteinanders zu finden. In prägenden Entwürfen verbanden sich diese Impulse mit älteren Traditionssträngen wie der antik-mittelalterlichen Tyrannislehre oder dem stoischen Naturrecht ebenso wie mit dem vernunftrechtlichen Neuansatz der Vertragslehre. Der Vortrag zeichnet die Entwicklungslinien maßgeblicher Staatslehren zwischen 1500 und 1800 nach und zeigt, wie sie sich zwischen den beiden Polen ›Gehorsam‹ und ›Widerstand‹ aufspannen.

 

Martin Heckel (Tübingen, Germany)

Martin Luthers Reformation und das Recht

Die Entwicklung des evangelischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts in Deutschland seit Beginn der Reformation ist nur aus der Wechselwirkung der juristischen Probleme und Dynamik mit ihren theologischen und politischen Ursachen und Folgen zu erfassen. Der Referent hat es in seiner 2016 veröffentlichten Untersuchung unter dem gleichen Titel unternommen, die Entstehung und Wandlung der rechtlichen Institutionen aus den geistlichen und weltlichen Ursprüngen, die dem modernen Empfinden fremd geworden sind, verständlich zu machen und zugleich das Bewusstsein der Kontinuität zu stärken, die unsere pluralistische Geisteswelt und Rechtsordnung mit ihren geschichtlichen Wurzeln verbindet und bis heute prägt und bedingt. Der Vortrag wird die Grundlinien und die methodischen Anliegen dieser Vermittlung zwischen der lutherischen Reformation und der Gegenwart darlegen.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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