Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion I.1: Abstracts

 

Thomas Töpfer (Leipzig, Germany)

Die Konstruktion protestantischer Bildungsüberlegenheit im deutschsprachigen Raum vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Die besondere Affinität zwischen Protestantismus und Bildung gehört bis heute zu den geradezu standardisierten Antworten auf die Frage nach den kulturellen Wirkungen der Reformation. Nicht zuletzt die Reformationsdekade hat mit dem Themenjahr 2010 ›Reformation und Bildung‹ anlässlich des 450. Todestages Philipp Melanchthons diesen Zusammenhang noch einmal nachdrücklich betont, auf eine konfessionell antagonistische Deutung dieser Affinität aber weitgehend verzichtet. Der Beitrag versucht zu zeigen, dass die bildungsgeschichtliche Wirksamkeit des Protestantismus von Beginn an mit einem insbesondere antikatholischen Überlegenheitsdiskurs verknüpft war, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind. In einem zeitlichen Längsschnitt von der Reformationszeit bis zur Gegenwart fragt der Vortrag nach der Genese dieses Diskurses, der mit den konkurrierenden konfessionellen Bildungskonzepten im 16. Jahrhundert entsteht, im 18. Jahrhundert unter aufgeklärten Vorzeichen prosperiert und im 19. und 20. Jahrhundert mittels des neuen Begriffs ›Bildung‹ eine besondere Wirkmächtigkeit im Rahmen des Kulturprotestantismus entfaltet.

 

Klaus-Dieter Beims (Plochingen, Germany)

Wittenberger Gelehrte. Lebens- und Karrierewege und ihre biographische Repräsentation

Anfang des 17. Jahrhunderts hat der Heidelberger calvinistische Historiker Melchior Adam in seinen Sammlungen von Gelehrtenviten u. a. etwa 90 Viten von Wittenberger Gelehrten des 16. Jahrhunderts veröffentlicht.  Anhand repräsentativer Beispiele sollen deren Ausbildungs-, Lebens- und Karrierewege beleuchtet werden: Für welche Karrieren bzw. gesellschaftliche Tätigkeitsfelder waren sie mit ihrer in Wittenberg erhaltenen Ausbildung qualifiziert? Wie verliefen unter den Bedingungen der humanistisch-reformierten Universität typische Professorenkarrieren?

Daneben sollen einige grundlegende Aspekte der biographischen Repräsentation der Wittenberger Wissenschaftler angesprochen werden, z. B. die Informationsauswahl und Informationsverarbeitung in den Viten und ihren Quellen sowie der Konstruktcharakter der Viten.

 

Daniel Bohnert (Frankfurt/Main, Germany)

Ordination und Ordinandenexamen in der Zeit der lutherischen Restauration von 1591/92 bis um 1600. Theologie als Exportschlager

Die reformatorische Theologie und ihre Bildungsansätze wurden nicht nur in den Kernlanden der Reformation vermittelt, sondern in andere protestantische Territorien und Städte des Heiligen Römischen Reiches exportiert. Die transterritoriale Ausstrahlung und Prägekraft der Universität Wittenberg (Leucorea) lässt sich vor allem an ihrer herausragenden Rolle in der Heranbildung von angehenden kirchlichen Amtsträgern bestimmen. Als für die protestantischen Territorien und Städte führende ›Ordinationsuniversität‹ hat die Leucorea alleine im 16. Jahrhundert mehrere Tausend Examina und Ordinationen berufener Kirchenamtsträger verantwortet. Der Kongressbeitrag widmet sich der Frage nach Ordination und Ordinandenexamina in der Zeit der sogenannten lutherischen Restauration von 1591/92 bis um 1600.

 

Franz Schollmeyer (Jena, Germany)

Lutherische Flugschriften zum Konkordienwerk

Die Bemühungen Jacob Andreäs um die Einigung des Luthertums und die Beilegung der innerprotestantischen Streitigkeiten, die nach Luthers Tod und dem Augsburger Interim aufbrachen, mündeten 1577 in der Konkordienformel und 1580 im Konkordienbuch. Das Dissertationsprojekt widmet sich den literarischen Strategien, die in lutherischen Flugschriften für oder gegen das Einigungswerk verwendet wurden, um den theologischen Gegner zu diskreditieren, die eigene Position aber als wahr darzustellen und das Publikum auf die eigene Seite zu ziehen. Untersucht werden u. a. Texte von Christoph Irenäus, Johannes Wigand, Nikolaus Selnecker, Jacob Andreä, Johann Habermann, Caspar Füger, aber auch anonyme Schriften, in einem Zeitraum von 1568 bis 1600.

 

Jonathan Reinert (Jena, Germany)

Lutherische Passionspredigt im 16. Jahrhundert

Mit Luther etablierte sich die ›Postille‹ zu einer eigenen literarischen Gattung, in der die Perikopen entlang des Kirchenjahres ausgelegt wurden. Postillen dienten seither zur Bildung und Unterweisung der Prediger, aber auch der Lehrer und Hausväter. Sie waren ein hervorragendes Medium zur Vermittlung (nicht nur) religiösen Gedankenguts. Das Dissertationsprojekt untersucht die Auslegungen des Leidens und Sterbens Jesu Christi in den Postillen sowohl Luthers als auch weiterer Theologen in seiner Tradition (z.B. Johann Spangenberg, Johannes Wigand, Christoph Vischer). Einbezogen werden auch Reaktionen auf Impulse und Rezeptionen von Gedanken Luthers durch altgläubige Postillatoren (z.B. Friedrich Nausea, Johann Wild, Michael Helding).

 

Jan-Andrea Bernhard (Strada i. O. and Zurich, Switzerland)

Reformatorische Schulbücher (Katechismen, Abecedaria) in den Drei Bünden. Bedeutung und Wirkung der ersten rätoromanischen Drucke für die Entstehung des protestantischen Bildungswesens

Bislang beschäftigten sich Linguisten aus sprachwissenschaftlichem Interesse mit den ersten rätoromanischen Texten, Theologen ordneten diese frühen Drucke in die europäische Theologiegeschichte des 16. Jahrhunderts ein und Historiker betonten deren Funktion für den Fortlauf der Reformation in den Drei Bünden.

Im Referat werden die frühesten, weithin in Vergessenheit geratenen rätoromanischen Drucke (Katechismen, Abecedaria, usw.) in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des protestantischen Bildungswesens in den Drei Bünden untersucht und in einen europäischen Kontext gestellt.

 

Sebastian Engelmann (Jena, Germany)

»Die Stellung des Menschen im Gesamtsein«. Die Lehrplantheorie Friedrich W. Dörpfelds

Der dem Pietismus verbundene Schulmann Friedrich W. Dörpfeld und seine Lehrplantheorie sind Schwerpunkt dieses Vortrags. Die Grundidee – die im Vortrag in Bezug auf den Religionsunterricht genauer ausgearbeitet werden soll – ist die des erfahrungsbezogenen Zeigens anhand von Realien. Es soll im Unterricht nicht darum gehen »einen Vortrag über die Bilder zu halten, sondern [darum,] [...] die Bilder zu zeigen.« (Dörpfeld) Herausgearbeitet wird, dass nach Dörpfeld die Unterrichtsfächer anthropologisch begründet »ein zusammenhängendes Ganzes bilden müssen, das letztlich in der Stellung des Menschen im Gesamtsein, d. h. in seinem Verhältnis zur Natur, zur Menschenwelt und zu Gott verwurzelt sei.« (Reble)

 

Norm Friesen (Boise, USA)

Luthers »Lehrbüchlein«. Kleiner Katechismus und Bildung

Im Jahr 1529 erschien sowohl Martin Luthers Großer Katechismus, dessen Zielgruppe die Pfarrer waren, als auch sein Kleiner Katechismus, der sich vor allem an Lehrer und Familienväter richtete. Der Kleine Katechismus, den breiten Massen in Form der von Luther zusammengestellten Haustafel zugänglich gemacht, war äußerst einflussreich als praktische Norm für den Haushalt und als ein, wie Luther es nannte, »kleines Beichtbüchlein, Betbüchlein [und] Lehrbüchlein.« Letztlich wird mit dieser Charakterisierung etwas vorweggenommen, was aus der heutigen Bildungstheorie bekannt ist: Es geht einerseits um einen standardisierten Lehrplan, der durch seine verschriftlichte Form eine gewisse Normativität beansprucht und andererseits um eine katechetische Methode, um diese Norm im praktischen Unterrichtsgeschehen zu implementieren. Anhand von ausgewählten deutschen und amerikanischen Beispielen des 16. bis 19. Jahrhunderts geht dieser Beitrag den Wirkungsspuren des Kleinen Katechismus auf Bildungsmethoden und -inhalte nach.

 

Daniel Löffelmann (Jena, Germany)

Die ›freie Schulgemeinde‹. Tiefenwirkungen der Reformation am Beispiel eines pädagogischen Konzepts des 19. Jahrhunderts

Die Idee der ›freien Schulgemeinde‹ ist ein schulpädagogisches Konzept, das im 19. Jahrhundert prominent wird und als dessen namhaftester Vordenker und Verfechter F. W. Dörpfeld gilt. Mit der Reformation steht es insofern in Verbindung, als dass dabei ein reformatorisches (weniger lutherisches als vielmehr calvinistisches) Grundmuster auf die Gestaltung des Schulwesens übertragen wird: Obrigkeitlich-bürokratische Verwaltung von ›Schule‹ als schädlich ablehnend, sei diese stattdessen nach presbyterialem Vorbild organisatorisch in die Hände der jeweiligen Kirchen- bzw. Ortsgemeinden zu legen. Dieses synodale ›Selfgovernment‹ mit Blick auf Schule gründet – auch das wird zu zeigen sein – nicht zuletzt auf einer ganz bestimmten Vorstellung davon, wie und wann Menschen ›lernen‹.

 

Hanna Kauhaus (Jena, Germany)

Die Idee der deutschen Universität – eine Wirkung der Reformation?

Friedrich Schleiermacher gehört neben Wilhelm von Humboldt zu den geistigen Vätern der Universitätsreform des frühen 19. Jahrhunderts, die bis heute als ›Idee der deutschen Universität‹ nachwirkt. Anhand von Schleiermachers Schrift Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn von 1808 wird die These aufgestellt und geprüft, ob und inwiefern sich die Kerngedanken dieser Idee der Universität als kulturelle Wirkung der Reformation verstehen lassen. Der Vortrag verbindet so die Darstellung von Schleiermachers Universitätsidee mit der methodischen Reflexion auf die Frage, nach welchen Kriterien eine Idee oder ein kulturelles Muster als Wirkung von etwas – konkret: der Reformation – verstanden werden kann und welchen Erkenntnisgewinn ein solches Verständnis bringt.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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