Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion II.8: Abstracts

 

Catherine Ballériaux (Halle/Saale-Wittenberg, Germany)

›Nach dem Willen Gottes, geoffenbart in der Schrift‹. Gebetsstädte von Natives als Beispiele von reformatorischer Gottesregierung

Dieser Vortrag analysiert die Missionspraktiken, die John Eliot im 17. Jahrhundert bei seiner Missionierung der Natives anwandte und vergleicht diese mit katholischen Bekehrungsstrategien von französischen Jesuiten im selben Gebiet. Die Einführung des Christentums bei Ethnien, die nicht nur hinsichtlich der Fundamentallehren, sondern auch mit Blick auf die notwendigen Prinzipien zur Etablierung eines Gemein- und Bürgerwesens als ungebildet angesehen wurden, zwang die Missionare dazu, ihre Theologie bis zum äußersten dehnbar zu halten und exakter auszuformulieren, wie die universal gefallene Natur des Menschen nicht nur durch Gnade wiederhergestellt, sondern auch durch soziale und politische Strukturen kontrolliert werden konnte. Die Ränder des Reiches sind, so besehen, Schlüsselbereiche, in denen die Grundsätze des religiösen Denkens der Frühen Neuzeit beschlossen, herausgearbeitet und umgeformt werden konnten.

 

Miklós Kovács (Szeged, Hungary)

Der Buchdrucker Benedek Abádi

In diesem Vortrag soll anhand des Lebens des Druckers Benedek Abádi (1514-1552?) die Verflechtung der Reformation mit dem aufkommenden Buchdruck in Ungarn beleuchtet werden. Nach einem Universitätsstudium in Krakau und seiner Ausbildung zum Buchdrucker bei J. Vietor, druckte er im Jahr 1541 auf Bitten von Palatin Nádasdy das von J. Sylvester ins Ungarische übersetzte, vollständige Neue Testament, das als schönstes ungarisches Buch des 16. Jahrhunderts bezeichnet wird. In den Folgejahren studierte er bei Luther und Melanchthon in Wittenberg und wirkte als ordinierter lutherischer Prediger in charismatischer Weise zwischen 1545 und 1552 in der fast vollständig zerstörten südungarischen Stadt Szeged. Melanchthon schreibt dazu in einem Brief, durch Abádis Predigten »glänze das Evangelium«. Das Ende Abádis liegt im Dunklen: 1552 verliert sich seine Spur in den Wirren der türkischen Besatzungszeit.

 

Nataliia Sinkevych (Tübingen, Germany)

Die Religiosae cryptae (1675) des Johannes Herbinius. Die Beschreibung Kiews und seiner ›sakralen Räume‹ im multikonfessionellen Diskurs der Frühen Neuzeit

Die Geschichte der Frühen Neuzeit bietet eine Vielzahl von Paradoxien mit Blick auf interkonfessionelle Beziehungen. Eines dieser Paradoxe ist die Veröffentlichung von Johannes Herbinius’ Schrift Religiosae Kijoviensium Cryptae (1675) im Protestantischen Jena in Deutschland, die ein wichtiges Zentrum orthodoxen intellektuellen und geistlichen Lebens beschreibt, nämlich das Kiewer Höhlenkloster.

Herbinius’ Schrift beinhaltet kaum religiöse Polemik. Er sympathisiert mit den Ruthenen und ihren religiösen Gebräuchen. Die religiöse Toleranz (oder besser: Tolerierung) im Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen hatte eine große Wirkung auf die Gesellschaft, verhinderte religiös motivierte Kriege und liefert viele interessante Beispiele für die Koexistenz verschiedener religiöser Bekenntnisse. Diese Tolerierung ermöglichte das Erscheinen von Herbinius’ Schrift und hatte zugleich einen großen Einfluss auf seine Ideen.

 

Henning Schwanke (Leipzig, Germany)

Rien ne va plus? Die Frage der Ethnie

Anscheinend hat die Moderne unter der Führung des Protestantismus die Ethnie als dauerhafte Reflexionsgruppe des Einzelnen abgeschafft. Nur selten gelingt es einzelnen Gruppen noch über eine Schismogenese sich von Massenströmungen dauerhaft abzusetzen und eigene kulturelle Gemeinschaft auf beständiger Basis zu etablieren. Die Herrschaft der Blutsbande ist mit der Reformation und ihrem Bildungsprimat anscheinend zum Abdanken gebracht worden.

Ich möchte aus einer religionsethnologischen Perspektive Beispiele anbringen, wie sich in der Industrie- und Dienstleistungsmoderne in der Nachfolge der Reformation geschlossene ethnische Ankulturen etabliert haben und dies ein bedeutendes Lebensmodell in der Zukunft werden wird.

 

Joseph Bosco Bangura (Potchefstroom, South Africa)

›Sola Scriptura‹? Charismatische Bewegungen in Afrika und die Bibel

Charismatische Bewegungen in Afrika wurden bisher kaum in analoger Weise zur Reformation des Christentums in Afrika analysiert. Dieser Beitrag reagiert auf dieses Versäumnis in der Wissenschaft, indem er 1. dafür plädiert, dass charismatische Bewegungen die afrikanische Kirche dazu aufrufen könnten, sich wieder neu mit der Bibel zu beschäftigen; 2. Möglichkeiten diskutiert, wie die charismatische Einstellung zur Bibel als Teil der unvollendeten Aufgabe der Reformation verstanden werden könnte; 3. zeigt, dass charismatische Bewegungen in Afrika versuchen mit Hilfe der Bibel virulente kulturelle Themen in ein neues Christentum Afrikas umzuformen.

 

Oyeleye Ojemola (Waco, USA)

Die Auswirkungen der Reformation Luthers in Nigeria

Der Vortrag zielt darauf, die Auswirkungen der Reformation zu ergründen – lange nachdem sich Martin Luther mit dem, was er eine Plage in der Kirche nannte, befasste. Von den ersten missionarischen Kontakten zu den indigenen Stämmen in der Bucht von Benin bis hin zur Etablierung von Kolonien durch die westlichen Imperien untersucht der Vortrag deren Auswirkungen auf die Gestaltung der sozio-politischen Lage in dem Gebiet, das heute als Nigeria bekannt ist. Missionarische Aktivitäten trennten die Menschen entlang von Stammeszugehörigkeiten und schufen politische Strukturen, die nach wie vor sowohl die Kirche als auch den Staat beeinflussen. Der Beitrag zeigt zum Abschluss deshalb, wie diese missionarischen Aktivitäten unterschiedlicher Konfessionen Politik, Kunst, Wirtschaft und die soziale Struktur der Kirche und Gesellschaft in Nigeria bis heute prägen.

 

Chiropafadzo Moyo (Harare, Zimbabwe)

Reformation in einem interkulturellen Kontext

Dieser Beitrag diskutiert die Auswirkungen der Missionsarbeit auf religiöse Lehren sowie auf die Art und Weise, wie Gottesdienst, Musikrichtungen und das Verstehen von Gott und Schöpfung durch die Anpassung der Religion an verschiedene Kulturen entstanden sind. Die Herausforderungen in interkulturellen Kontexten beachtend sollen Städte als Stätten spiritueller Erneuerung untersucht werden. Große Städte sind ein Sammelbecken verschiedener Kulturen, da sie überwiegend durch den Zuzug von Menschen aus kleineren Orten entstehen. So gesehen bezieht die heutige Kirche ihre Ressourcen in vielfältiger Weise von den kulturellen Prägungen ihrer Gemeindeglieder und reformiert sich kontinuierlich und spiegelt so genau diese Prägung wieder. Indem Erfahrungen aus Simbabwe und anderen afrikanischen Ländern herangezogen werden, soll eine Perspektive hinsichtlich einer reformatorischen Initiative in der Kirche entwickelt werden.

 

Johnson Mbillah (Nairobi, Kenya)

Die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Afrika aus reformatorischer Sicht

Der Beitrag zeigt, dass die theologische Basis für das im Jahr 1959 entstandene Programme for Christian-Muslim relations in Africa (PROCMURA; Programm für Christlich-Islamische Beziehungen in Afrika), als der Vorreiterorganisation für freundschaftliche Beziehungen zwischen Christen und Muslimen, die reformatorische Theologie in all ihre Facetten ist. Deutlich wird das in einer Grundsatzerklärung, die den Rahmen, in dem das Wesen und die Arbeit von PROCMURA stehen, so zusammenfasst: »Unsere Beziehung zu Muslimen resultiert aus unserem Glauben an den dreieinen Gott und nicht gegen diesen Glauben.« Ebenso im Missionsmotto von PROCMURA: »Gläubiges christliches Zeugnis und christliches schöpferisches Engagement zusammen mit Muslimen für Frieden und friedliche Koexistenz.« ›Christliches Zeugnis‹ und ›Arbeiten für den Frieden‹, so schlussfolgert der Beitrag, haben Auftragscharakter, denn das Zeugnis-Geben folgt aus dem Gehorsam gegenüber der Herrschaft Christi und die Friedensarbeit folgt Christi Beispiel als ›Friedefürst‹.

 

Wilhelm Wachholz (São Leopoldo, Brazil)

Spuren der Reformation und ihre Wirkungen in Brasilien

Das Luthertum in Brasilien trug seit 1824 zur Einführung einer neuen Gemeinschaftsform bei. In den ersten drei Jahrhunderten der brasilianischen Kolonialgeschichte gliederte sich die Gesellschaft in zwei Schichten: Herren und Sklaven. Eine eigentliche Mittelschicht konstituierte sich erst mit der deutschen Einwanderung. Einerseits brachten die Einwanderer Erfahrungen solchen gemeinschaftlichen Lebens mit sich; andererseits schlossen sie sich zusammen, um ihre eigenen Schulen, Kirchen, Friedhöfe etc. einrichten zu können, da die brasilianische Regierung ihnen hierin jegliche Unterstützung versagte. Das gemeinschaftliche Leben strukturierte die Beziehungen im wirtschaftlichen, politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Sinne und wirkt als solches noch bis in die Gegenwart hinein.

 

Anupama Hial (Hamburg, Germany)

Kulturelle Wirkungen des Luthertums in Indien

Kultur ist eines der zentralen Elemente der sozialen Realität. Tatsächlich hat die indische Kultur eine bedeutende Rolle dabei gespielt, Menschen – Männern wie Frauen – die Verwirklichung ihrer Fähigkeiten und ihres Selbstwertes zu ermöglichen. Solche kulturellen Konzepte sind in den antiken Hindu-Schriften, in der Folklore und auch in der Mythologie verwurzelt. Viele Praktiken, die Männer und Frauen in Indien sowohl in der Kirche als auch im säkularen Leben entweder sich angeeignet haben oder die ihnen aufgedrängt wurden, sind begründet in der Übernahme von verschiedenen diskriminierenden kulturellen Konzepten, die selbst heute noch in der indischen Gesellschaft überwiegen. Allerdings hat auch die erste lutherische Mission von 1706, bekannt auch als ›Tranquebar Mission‹, sowohl die indische Kultur als ganze als auch das Leben von Männern und Frauen seit nunmehr 310 Jahren vor große Herausforderungen gestellt und sie beeinflusst.

 

Kamil Öktem (Münster, Germany)

Von Deskription zu Normativität. ›Sola Scriptura‹ als Einfluss auf das muslimische Denken im 19. und 20. Jahrhundert

In diesem Vortrag soll, angesichts der sich neu formierten Grundstrukturen und Gliederungen der islamwissenschaftlichen Disziplinen, der Frage, wie ein zeitgenössisches Verständnis der Koraninterpretation aussehen könnte, nachgegangen werden. Bei der Beantwortung der Frage, wird kurz auf die Entstehung des ›Sola Scriptura‹-Prinzips und zu guter Letzt der Wandel von Deskription zu Normativität in der Koranexegese durch Einfluss der protestantischen Exegese eingegangen. Auch wird in Betracht gezogen, wie sich dies auf die Hierarchie der hermeneutischen textuellen Interpretationsquellen, die kurzum als Koran, Sunna, Gelehrtenkonsens und Analogieschluss zusammengefasst werden, auswirkte. Denn im Angesicht des Einflusses auf den Koran, ihn als ›Solo Corano‹ zu überdenken, entstünde eine beachtliche Problematik bezüglich dieser Hierarchie.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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