"Am Anfang war die Residenz", denn ohne Residenz wäre Wittenberg nie Universitätsstandort geworden, es hätte keinen Universitätsprofessor Luther, ja nicht einmal eine Thesentür gegeben.
Nachdem Wittenberg seit dem 13. Jahrhundert einer Linie des anhaltisch-sächsischen Kurfürstengeschlechts der Askanier als Residenz gedient hatte, verlor die Stadt nach dem Aussterben dieser Askanischen Linie und dem Übergang Wittenbergs an das meißnische Markgrafengrafengeschlecht der Wettinier 1423 an Bedeutung. Wittenberg wurde noch als Residenz genutzt und die alte askanische Burg verfiel zusehens.
Mit der Leipziger Teilung (1485) zwischen der ernestinisch-thüringischen und albertinisch-meißnischen Linie der Wettiner kam für Wittenberger Residenz die Wende. Unter dem 1486 die Nachfolge seines Vaters antretenden Kurfürsten Friedrich III. wurde Wittenberg erst zögerlich, dann immer intensiver zur Residenz ausgebaut. Dabei entstanden ein neues Schloss (1489-1500) und eine prunkvoll ausgestatte Schlosskirche (1496-1509), ab 1515 ein neues Vorschloss. Nicht nur die Baulichkeit änderte sich, der Kurfürst griff zugleich massiv in das städtische Machtgefüge ein. Kurfürstliche Räte und Residenzangehörige siedelten sich in Wittenberg an und besetzten die besten Grundstücke der Stadt, ehemaliges Schloss- und Amtspersonal rückte in den Stadtrat vor, die Professoren der Universität wurden zugleich Angehörige des "Aller Heiligen Stifts" in der Schlosskirche.
Dieser Themenbereich erschließt bisher nur zum Teil der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich gemachte Quellen zum Ausbau der Residenz und zur Residenznutzung unter Kurfürst Friedrich III. und seinen Nachfolgern systematisch und veröffentlicht sie. Dabei wird das Augenmerk auch auf die Beziehungen der Residenz und ihrer Angehörigen sowie der Schloßkirche mit dem Allerheiligenstift zur Stadt, zur Universität und zum geistlichen Leben in Wittenberg gerichtet.
Ergebnisse
Grundlegende Ergebnisse für die Zeit vor dem Regierungsantritt Friedrich des Weisen bilden die Voraussetzung, um den Wandel unter dem Kurfürsten erfassen zu können. Erstmals konnte so der Wittenberger Schlossbau vor 1489 in groben Gebäude- und in einigen Raumstrukturen erfasst und seine Nutzung durch die Herzöge und Kurfürsten von Sachsen von 1421 bis 1486 belegt werden. Dabei traten bisher unbekannte Bauphasen an der Befestigung von Schloss und Stadt aber auch längere Aufenthalte der wettinischen Landesherren hervor. Die Wettiner nutzten Wittenberg bis 1455 vornehmlich als befestigten Zentralort des Kurkreises sowohl in den Auseinandersetzungen mit den Markgrafen von Brandenburg um die Lausitz wie während des Sächsischen Bruderkrieges.
Im Zentrum der Betrachtungen standen jedoch der Neubau und die Nutzung des Wittenberger Schlosses unter Friedrich dem Weisen. Aus Rechnungen und späteren Inventaren konnte nicht nur der Bauablauf sondern ein authentisches Raumprogramm des Schlosses unter Kurfürst Friedrich und seinen ernestinischen Nachfolgern gewonnen werden. Die Anwesenheit des Kurfürsten seines Bruders und hochadeliger Gäste erschließen die Wittenberger Amtsrechnungen und einige wenige Lagerbücher. Demnach diente Wittenberg nach einer festlichen Einweihung mit einem Turnier 1508 vornehmlich als geistig-geistliches Zentrum der Herrschaft. Das Hoflager, häufiger noch der Kurfürst und sein Bruder mit kleinerem Gefolge suchten Wittenberg vornehmlich zu den geistlichen Hochfesten (Ostern, Weihnachten) sowie zur Weisung der Reliquien in der Schlosskirche und zum Ablass an Allerheiligen auf. Ein längeres Hoflager im Frühjahr war bis 1521 üblich.
Im Wittenberger Schloss lebten und gastierten neben den Fürsten zahlreiche weitere Hofangehörige, Universitätsgelehrte, Handwerker, Künstler, Drucker und Geistliche. Anhand einer Auswertung der Amtsküchenbücher (1500 bis 1515) und zahlreicher anderer Rechnungsbestände können sie mit ihren Aufenthalten im Schloss bis auf den Tag genau nachgewiesen werden: so u.a. der Chronist Adam von Fulda, der Jurist Petrus Thomai aus Ravenna, der Maler Lucas Cranach der Ältere, der Bildschnitzer und Drucker Symphorian Reinhart, der kurfürstliche Beichtvater und Franziskaner Jacob Vogt, die unehelichen Kinder Friedrich des Weisen, der Sekretär, Kaplan und Fürsprecher Martin Luthers am Hof Georg Spalatin etc. Dadurch wird die geistige Atmosphäre im Schloss deutlich greifbarer als bisher. So nahmen in Wittenberg weilende Hofangehörige eine Vermittlerrolle zum aktuellen Hoflager ein und gewannen so in der frühen Reformationszeit eine enorme Bedeutung.
Meist können die Anwesenden mit ehemaligen Baulichkeiten im Schloss in Verbindung gebracht werden. So konnten sowohl die Erkerstube Georg Spalatins, sowie die ursprüngliche Lage der von ihm ab 1512 aufgebauten kurfürstlichen Universitätsbibliothek erstmalig identifiziert werden. Der vermischte Charakter der bibliotheca ducalis wird zugleich durch die Funktionen Spalatins als Präzeptor, Bibliothekar, Chronist, Gelegenheitssekretär, später Kaplan und Übersetzer deutlich. Auf ähnliche Weise konnten im Schloss eine private Speisestube des Fürsten, ein Tanzsaal, eine Malerstube, eine Druckerei und eine Baccalauristube usw. mit ihrer Funktion und Nutzung nachgewiesen und beschrieben werden.
Arbeitsfelder
Die Schlosskirche ist die Schnittstelle zwischen Universität, Kirche und Residenz, mit dem postulierten ‚Thesenanschlag‘ zugleich mythischer Ort des Weltereignisses Reformation. Aktuell werden gemeinsam mit den Projektbereichen Universität und Kirche Zeugnisse zur materiellen wie personellen Ausstattung gesammelt, die über die bereits bekannten Editionen (u.a. Walter Gurlitt, Robert Bruck, Georg Buchwald, Fritz Bünger und Gottfried Wenz) hinausgehen. Dabei wird das Augenmerk insbesondere auf Belegen für die spätmittelalterliche Frömmigkeitspraxis am Hof und ihrem Wandel mit der Reformation ruhen.
Bei der weiteren systematischen Quellenaufnahme werden zudem Belege für die Förderung des Druck-, Kunst- und Bildungswesens über die bereits bekannten Editionen hinaus aufgenommen. Dabei wird dem Alltag am Hof zwischen Reisen und Residieren und die Funktionen der verschiedenen Haupt- und Nebenhoflager beleuchtet, um die Wittenberger Residenz im Verhältnis zu ihren zum Teil bedeutenderen Geschwistern, den Schlössern in Torgau, Weimar, Lochau (Annaburg), Altenburg, Coburg, Colditz, Grimma, Allstedt, Eilenburg etc. zu beleuchten.
Die Ergebnisse des Forschungsbereichs 'Residenz' werden zum großen Teil in dem vorraussichtlich 2019 erscheinenden Band 5 der "Wittenberg-Forschungen" zugänglich gemacht werden.