Andreas Stegmann
Ethik beim frühen Luther
Luther’s ethical writings
Das Seminar geht der ethischen Dimension von Luthers sich zwischen 1510 und 1520 entwickelnder reformatorischer Theologie nach. Im Mittelpunkt stehen Schlüsseltexte aus Luthers Predigten, Vorlesungen, Disputationen und Druckschriften zwischen 1510 und 1520. Diese Texte sollen in zweierlei Hinsicht befragt werden: Hinsichtlich der theologischen Grundlagen der Ethik und hinsichtlich der materialen Konkretionen der Ethik. Das Quellenmaterial lässt sich drei Abschnitten der Entwicklung von Luthers früher Theologie zuordnen: 1. den frühesten Zeugnissen von Luthers Theologie aus den Jahren 1509 und 1510, die deutlich Luthers Verwurzelung im spätmittelalterlichen Herkommen zeigen; 2. der Psalter- und Paulusauslegung zwischen 1513 und 1518, in denen sich spätmittelalterliche Einflüsse mit neuen Einsichten vermischen und allmählich eine neue Anschauung von den Grundlagen und Konkretionen der Ethik entsteht; 3. der Ausformulierung von Luthers reformatorischer Theologie zwischen 1518 und 1520, die einen trotz aller bleibenden Kontinuitätsmomente unverkennbaren Bruch mit den mittelalterlichen Anschauungen markieren und die Ethik als integralen und wesentlichen Bestandteil der reformatorischen Theologie ausweisen. Im einzelnen soll es um folgende Themen gehen:
- ‚Neubau der Sittlichkeit‘: Die Geschichte der Erforschung von Luthers früher Ethik [Referat: Andreas Stegmann]
- Mittelalterliche Ethik in Luthers frühesten Vorlesungen und Predigten 1509/10
- Elemente einer ‚demutstheologischen Ethik‘ Luthers in den „Dictata super Psalterium“ und in der Römerbriefvorlesung
- Die Entwicklung einer ‚rechtfertigungstheologischen Ethik‘ in Luthers Paulusauslegung 1515 bis 1518 (Römerbrief-, Galaterbrief-, Haebräerbriefvorlesung)
- Ethische Konkretionen in Luthers Paulusauslegung 1515 bis 1518 (Römerbrief-, Galaterbrief-, Hebräerbriefvorlesung)
- Die frühen Disputationen („Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia“, „Disputatio contra scholasticam theologiam“, „De virtute indulgentiarum“, Heidelberger Disputation) als Zeugnis von Luthers ethischem Denken
- Luthers frühe Dekalogauslegung (von der Predigtreihe 1516/17 über die „Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo“ 1518 bis zum Sermon „Von den guten Werken“ 1520) als Zeugnis der Entwicklung seines ethischen Denkens
- Luthers Ethik im Spiegel der Entwicklung seiner Bußtheologie zwischen 1510 und 1520 (am Beispiel der frühen Vorlesungen, der Bußpsalmenauslegung, der Schriften im Ablassstreit und der Erbauungsschriften zur Buße)
- Luthers Sermone über Buße, Taufe, Abendmahl und Ehe von 1519 als Zeugnis seiner ethischen Anschauungen
- Luthers reformatorische Ethik im Galaterbriefkommentar (1519) und in den „Operationes in Psalmos“ (1519-1521)
- Der Sermon „Von den guten Werken“ und die Freiheitsschrift als Programmschriften reformatorischer Ethik
- Kontinuitäten und Diskontinuitäten in Luthers ethischem Denken von der Frühtheologie (frühe Vorlesungen, Disputationen, Predigten und Druckschriften) über die reformatorischen Programmschriften der 1520er Jahre (Hauptschriften des Jahres 1520, Obrigkeitsschrift, Bauernkriegsschriften, Kriegsleuteschrift, Katechismesn u. a.) bis zu den Schriften der 1530er und 1540er Jahre (zweite Galaterbriefvorlesung, Genesisvorlesung, „Von Konziliis und Kirchen“ u. a.)
- Wirkungsgeschichte und Gegenwartsbedeutung von Luthers Ethik unter besonderer Berücksichtigung ihrer Kontinuitäts- und Diskontinuitätsmomente gegenüber dem Mittelalter
In den Seminarsitzungen wird von den Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmern reihum zu einem der Themen ein einleitendes, maximal dreißigminütiges Referat in deutscher oder englischer Sprache gehalten. Die Referentinnen und Referenten legen zu ihrem Referat ein Thesenpapier und die wichtigsten von ihnen herangezogenen Quellentexte vor. Thesenpapier und Quellenabdruck umfassen maximal fünf Seiten und sind dem Seminarleiter spätestens vier Wochen vor Kongressbeginn per E-Mail zuzusenden, so dass sie allen Teilnehmenden zur Vorbereitung zugänglich gemacht werden können. Die Sprache der Seminardiskussion ins Deutsch, in Ausnahmefällen Englisch. Es empfiehlt sich, die Quellenarbeit auf besonders ergiebige Textstellen, auf bestimmte Begriffe oder auf bestimmte Themenkomplexe zu konzentrieren. Als Orientierungshilfe für das Auffingen solcher Texte, Begriffe und Themen kann die einschlägige Monographie des Seminarleiters dienen: Andreas Stegmann „Luthers Auffassung vom christlichen Leben“, Beiträge zur Historischen Theologie 175, Tübingen 2014. Als Hilfsmittel zur Erschließung der Forschungsliteratur können die Darstellung der Geschichte der Erforschung von Luthers Ethik und die Bibliographie zur Ethik im Lutherjahrbuch 79, 2012 (hier: 211-303 und 305-342) dienen. Hinzuweisen ist auch auf die Referate und Seminarberichte des 11. Lutherforschungskongresses, die im Lutherjahrbuch 76, 2009 unter dem Titel „Luthers Ethik. Christliches Leben in ecclesia, oeconomia, politia. Luther’s Ethics in the Realms of Church, Household, Politics“ zugänglich sind.