Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion III.11: Abstracts

 

Arnulf von Scheliha (Münster, Germany)

Der politische Protestantismus zwischen Populismus und parlamentarischer Demokratie

Zu den kulturellen Wirkungen der Reformation gehört die lange Lerngeschichte, in der sich der Protestantismus die Demokratie angeeignet hat. Das landesherrliche Kirchenregiment, Treue zur Monarchie, Revolution, Verführungen zum Populismus und die Herrschaft des Rechts waren wichtige Stationen auf diesem Weg, der in diesem Vortrag skizziert wird.

 

Yuri Ivonin (Smolensk, Russia)

Von der Reformation zur Konfessionalisierung. England und die Fürsten von Sachsen zwischen 1555 und 1560

Es gibt gute Gründe, das Problem der Beziehungen Englands zu protestantischen Mächten des Kontinents vom Konzept der Konfessionalisierung her neu zu betrachten. Im Dresdner Staatsarchiv finden sich umfangreiche Berichte der Ernestinischen Botschafter in London. Das England Elisabeths weckte Hoffnungen unter den Protestanten Kontinentaleuropas, die jedoch keine Früchte im Sinne einer engeren Zusammenarbeit zeitigten. Dennoch betrachteten die Protestanten auf dem Kontinent England weiterhin als eines der wichtigsten Glieder in der Kette der ›Protestantischen Verbundenheit‹ und dies nicht nur zum Ende der Reformationszeit.

 

David Hall (Powder Springs, USA)

Calvin, Calvinismus und die Entwicklung des Republikanismus. Eine Wirkungsgeschichte

Im Gegensatz zu Luthers persönlich-individualistischer Stoßrichtung schuf der Calvinismus mehr als andere theologische Traditionen einen politischen Halbschattenbereich. Der Calvinismus (wenn nicht gar Calvin selbst) verstärkte eine aufkeimende Strömung von offenen Gesellschaften mit einer dezidiert antihierarchischen Entwicklung. Die hier unternommene Wirkungsgeschichte der politischen Ideen Calvins zeichnet die Entwicklungslinie des Calvinismus nach, indem sie ihre Verdichtung und Vermittlung durch Calvins Schüler in der Kernzeit zwischen 1550 und 1600 in den Blick nimmt. Eine Prüfung der Textquellen weist darauf hin, dass eine starke politische Traditionslinie bei Calvins Schülern (Ponet, Goodman, Knox, Viret, Beza, Hotman) ihren Ausgang nahm.

Calvins Werk verbreitete sich flächengleich mit der Entstehung vieler westlicher Republiken. Seine kulturelle Wirkung sollte daher nicht übersehen werden; es stellte vielmehr eine von wenigen Quellen bereit, die Anhänger als hilfreich für solche politischen Entwicklungen erkannten.

 

Andreas Suchanek (Wittenberg, Germany)

Die Idee eines ethischen Kompasses

Wir leben in einer Zeit, in der der Bedarf an ethischer Orientierung hoch ist. Der Ethik-Kompass ist ein Versuch, angelehnt an die Funktionsweise eines echten Kompasses solche Orientierung zu vermitteln, die ihren Ausgangspunkt in der Wirklichkeit nimmt, aber – Stichwort Ethik-Kompass – eine bestimmte Haltung zum Umgang mit der Wirklichkeit nahelegt.

 

Pietro Stori (Rom, Italy)

Reformation und Staat bei Hegel

Nach Hegel haben Luther und der Protestantismus eine entscheidende Rolle für die Moderne gespielt. Nicht nur aus einer religiösen Perspektive, sondern auch aus einer politischen; es sei nämlich der Protestantismus diejenige geschichtliche Triebfeder, die einen ausschlaggebenden Beitrag zur Entfaltung des Staates geleistet hat. Da der Staat »der Geist ist, der in der Welt steht«, ist nach Hegel die christliche und protestantische Religion Grundlage des modernen Staates. Die hegelsche Position steht offensichtlich im Widerspruch mit derjenigen Luthers, und mein Vortrag beschäftigt sich mit eben diesen Unterschieden der beiden Verständnisse von der Beziehung zwischen Religion und Staat.

 

Laura Achtelstetter (Nürnberg-Erlangen, Germany)

Protestantismus und preußischer Altkonservatismus

Statt eine in sich geschlossene christliche Theologie zu verkörpern, lassen sich die von den preußischen Altkonservativen im Vormärz vorgebrachten religiösen Überzeugungen vielmehr als ein auf individueller Religiosität beruhendes Ideenkonglomerat beschreiben. Religiöser Anspruch und politisches Denken fallen letztlich auseinander. Jene Ideen richten sich vorrangig gegen aufklärerische und liberale Bestrebungen in protestantischer Kirche und preußischem Staat. Am obrigkeitsstaatlichen Denken der Altkonservativen soll aufgezeigt werden, inwiefern ihre politischen Ideen auf Bezugnahmen und Interpretationen der politisch-theologischen Positionen Martin Luthers sowie des reformatorischen Geschehens beruhen, wobei christliche Überzeugungen gewissermaßen politisch instrumentalisiert werden.

 

Arne Lademann (Halle/Saale-Wittenberg, Germany)

Theologiegeschichtliche Abgrenzungen und sozialethischer Neuaufbruch. Emanuel Hirschs frühe Parteinahme für Luthers Rechtfertigungslehre

Emanuel Hirsch (1888-1972) hat seine Deutung der Figur und der Theologie Martin Luthers nicht bloß mit Forschungsarbeiten über den Wittenberger Reformator gestützt. Er hat es sich auch zum Programm gemacht, den Kern von Luthers Gottesglauben für die Moderne hoffähig zu machen. Das bedeutet der Sache nach, dem Herzen reformatorischer Theologie, der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben, zu neuer profilierter Gestalt zu verhelfen.

Die Ansätze aus den frühen 1920er Jahren, die Hirschs Denkweg motivierten, sollen in diesem Vortrag thematisiert werden. Sie sind konkret in einem Interesse geistes- und theologiegeschichtlicher Abgrenzungen, aber auch schon an der Bewältigung der gesellschaftlichen Krisensituation von Hirschs Gegenwart begründet, was nicht unproblematisch ist.

 

Simon Kerwagen (Bamberg, Germany)

Theologie der Revolution? Geschichts-, Gesellschafts- und Reformationsdeutung im Umfeld der 68er Jahre

Der Beitrag beleuchtet, inwiefern den Debatten um die Revolutionstheologie im Umfeld der 68er Jahre unterschiedliche Geschichts-, Gesellschafts- und Reformationsdeutungen zugrunde liegen. Während Shaull und Tödt mithilfe eines theologischen Revolutionsbegriffs Gesellschafts- und Kulturkritik üben, kritisiert Thielicke auf Grundlage eines theologischen Gesellschafts- und Kulturbegriffs die studentische Rebellion. Thielicke und Rendtorff hinterfragen vor dem Hintergrund einer skeptischen Geschichtstheologie die neuzeitkritische Revolutionstheologie, während Tödt und Wolf im Namen einer revolutionsgläubigen Geschichtstheologie eine Wandlung neuzeitlicher Gesellschaftsformen fordern.

 

Alf Christophersen (Wittenberg, Germany)

Die Leistungskraft des Protestantismus im Gefüge einer Politischen Ethik der Weltreligionen

Alle Weltreligionen wirken in je eigener Weise über die engeren Bereiche ihrer Glaubenstiefen hinaus in das Politische hinein. Dabei ist Streit programmiert, weil in den gesellschaftlichen Kämpfen um Lebensgestaltung normative Ansprüche aufeinanderprallen, die oft alles andere als kompatibel sind. Innere Klarheit ist die Voraussetzung für Kommunikationsfähigkeit, für eine angemessene Außenpräsentation. Darum wird auch innerhalb des Protestantismus konsequent gerungen. Unter der Annahme, dass die gegenwärtigen Problemstellungen, mit denen die Weltgesellschaft konfrontiert ist, deutliche, in elementaren ethischen Fragen konsensorientierte Positionen der Religionen erfordern, besteht der Bedarf, dass der überkommene interreligiöse und -konfessionelle Dialog erheblich vertieft werden muss.

 

Verena Schneider (Halle/Saale-Wittenberg, Germany)

Wirkungen des Protestantismus auf Einstellungen und Wertorientierungen. Ein Vergleich der Entwicklungen in den USA und in Deutschland

Die Wirkungen des Protestantismus auf heutige Einstellungen und Wertorientierungen in den USA und in Deutschland sind Thema des Projektes von Verena Schneider. Ausgangspunkte ihrer Analyse sind das neue Berufsbild und der Bedeutungsgewinn der Arbeit sowie die Offenheit für den Wert Individualisierung und die individualisierte Beziehung zu Gott. Die Analyse erfolgt auf Grundlage internationaler Umfragedaten, die anhand verschiedener statistischer Verfahren ausgewertet werden. Dabei werden die Effekte des Protestantismus auf Einstellungen zur Arbeit, zur Wirtschaftsordnung und zu Institutionen unter Kontrolle weiterer Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht oder Bildung herausgestellt. Außerdem werden Effekte berücksichtigt, die von verschiedenen Regionen in beiden Ländern ausgehen.

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017      KulturelleWirkungenderReformation

Kontakt: kongress@leucorea.uni-halle.de

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