Kulturelle Wirkungen der Reformation: Sektion I.2

Protestantismus und Wissenschaft. Vernunft und (ihre) Rationalitäten

Jörg Dierken und Martin Laube

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Dienstag, 8. August 2017, Leucorea, Seminarraum 3

14.30–15.15 Uhr Jan-Martin Lies: Autoritätenkonflikt und Identitätssuche. Die Entstehung einer neuen Streitkultur im Zuge der Reformation

15.30–16.15 Uhr Friedemann Stengel: ›Sola scriptura‹ im Kontext. Behauptung und Bestreitung des reformatorischen Schriftprinzips

16.30–17.15 Uhr Saskia Gehrmann: »Pietistische Medizin« als Produkt der ›Marke Waisenhaus‹

 

Mittwoch, 9. August 2017, Leucorea, Seminarraum 3

14.30–15.15 Uhr Malte Dominik Krüger: Ist der Protestantismus eine denkende Religion?

15.30–16.15 Uhr Tomasz Sodeika: Die Geburt der Religionswissenschaft aus dem Geiste der Reformation. Martin Luther und Rudolf Otto

16.30–17.15 Uhr Marianne Schröter: Theologie als Wissenschaft. Theorien der Religion um 1920

17.30–18.15 Uhr Stefan Lang: Performative Vernunft

 

Donnerstag, 10. August 2017, Leucorea, Seminarraum 3

14.30–15.15 Uhr Sebastian Böhm: Luthers Kant-Kritik und Hegels Übergang von der Vorstellung zum Begriff

15.30–16.15 Uhr Melanie Sterba: ›Hate speech‹. Martin Luther mit Judith Butler lesen

16.30–17.15 Uhr Valentina Surace: »Lutero qui genuit Heidegger«

Die reformatorische Konzentration auf das ›sola scriptura‹ im Konflikt mit den Autoritäten der römischen Kirche hat zu einem erheblichen Aufschwung philologisch-historischer Forschung geführt. Die Wechselzusammenhänge von Protestantismus und Wissenschaft haben hier eine breite wirkungs- und wissenschaftsgeschichtliche Dynamik begründet, deren Einfluss bis in die Hermeneutik und Rationalität der neuzeitlichen Naturforschung hinein spürbar ist. Demgegenüber haben die reformatorischen Verdikte gegen die aristotelisch-scholastisch geprägte Vernunft und Philosophie dort, wo es um Gottesverhältnis und Weltgestaltung geht, lange Schatten geworfen.

Erst die vielfältige Kritik der Aufklärung konnte den Boden dafür bereiten, dass die reformatorische Betonung von ›Herz‹ und ›Gewissen‹ in eine fruchtbare Spannung zur neuartigen Fundierung von Wissen und Handeln geriet: Die in der Sattelzeit der Moderne erfolgte ›Wende zum Subjekt‹ nahm zum einen vielfältige Impulse der Reformation auf und transformierte sie in epochenleitende Vernunftfiguren (exemplarisch etwa die Überführung des christlichen Freiheitsgedankens in das neuzeitliche Autonomieprinzip). Zum anderen wurde nun die Diskussion darüber eröffnet, ob die Innerlichkeit protestantischer Frömmigkeit so in den Sog einer sie aufhebenden Vernunftspirale gerät oder ob umgekehrt die mit der inneren Einheit von Subjektivität verbundene Vernunft ihrerseits nur wieder eine verkappte Form von Theologie präfiguriert. Diese Diskussion hat den Begriff der Vernunft selbst vielfach problematisch werden lassen. Genannt seien Stichworte wie Entfremdung und Religionskritik, irrationalistische Apotheose des Lebens und naturalistische Reduktion des Bewusstseins, Hinwendung zu den Phänomenen und Dekonstruktion des Subjekts. Die verschiedenen ›turns‹ der jüngeren Kulturwissenschaften kommen hinzu.

Die Sektion fragt danach, inwieweit sich in der Vielfalt von Rationalitäten überhaupt noch eine Einheit der Vernunft finden lässt, vor allem aber, ob die Fragen danach, was die Vernunft zur Vernunft macht, sich nicht in veränderter Form neu aufdrängen. Vielleicht vermag die Hegelsche These, dass das Christentum – vor allem in seiner protestantischen Gestalt – eine ›denkende Religion‹ sein will, vor diesem Hintergrund eine überraschend neue Aktualität und Stoßkraft zu entfalten. Eine Folgefrage ist, in welchen Formen und Paradigmen – Kommunikation, Transversalität oder Performanz – ein solches Denken heute Gestalt gewinnen kann und welche Folgen sich daraus für die Religion ergeben.

Stand: 12.6.2017

Kulturelle Wirkungen der Reformation

7. bis 11. August 2017

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